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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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Wälder von Anlane streiften, hatte es hier keine unliebsamen Zwischenfälle gegeben, von einigen Pferden abgesehen, die aus den Weilern rund um Drinan verschwunden waren.
    Er hatte reglos und mit angehaltenem Atem unter einer großen Esche gestanden, während er nach der Fährte der Hirschkuh suchte, die er eine halbe Meile durch Dickichte und Gehölze verfolgt hatte. Ein schwacher Abdruck im Erdreich fiel ihm ins Auge, und er bückte sich, um ihn genauer zu untersuchen. Das Schwirren kam so plötzlich und unerwartet, dass er es anfangs nicht zuzuordnen wusste, und als er den Pfeil zitternd im Baumstamm stecken sah, reagierte er ungläubig und leugnete instinktiv seine Bedeutung. Aber da war er, ohne jeden Zweifel – ein Kyrinin-Pfeilschaft. Im nächsten Augenblick ließ er Bogen und Köcher fallen, schleuderte den Rucksack zu Boden, um schneller laufen zu können, und ergriff die Flucht. Er hatte nichts gesehen außer dem Pfeil selbst und nichts gehört außer dem Schwirren und dem Splittern, als sich seine Spitze ins Holz bohrte. Dennoch wusste er, dass sie hinter ihm her waren, dicht hinter ihm her, und dass ihn nur seine Beine retten konnten.
    Er stürzte an einer hohen, knorrigen Eiche vorbei, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Es hatte ihn lange nicht mehr in diese Gegend verschlagen, aber er glaubte, dass er als Junge in diesem Baum herumgeklettert war. Wenn er recht behielt, dann lag die Straße, der heiß ersehnte Weg in die Sicherheit, nur zwei- oder dreihundert Schritte weiter vorn. Der Gedanke verlieh seinen müden Beinen neues Leben, und er eilte noch schneller dahin. Der Hoffnungsfunke glomm heller.
    Er spürte keinen Schmerz, nur einen kräftigen Schlag im Kreuz, als habe ihn ein Stein getroffen. Keinen Schmerz, aber die Beine knickten unter ihm weg, und er kippte nach vorn, fiel mit dem Gesicht nach unten in die feuchte Laubstreu. Er krallte die Hände ins Erdreich und versuchte sich zu erheben. Doch die Beine wollten ihm nicht gehorchen. Er tastete nach dem Pfeil, der ihm im Rücken steckte. Etwas schnürte ihm die Kehle zu.
    Dann umklammerte jemand grob seinen Arm und drehte ihn um. Der Pfeil zerbrach, und wie ein Blitzstrahl durchzuckte der Schmerz Wirbelsäule und Brustbein. Mit einem lauten Aufschrei schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete und – gegen die Tränen blinzelnd – aufschaute, erlebte er eine letzte Überraschung. Nicht das bleiche Gesicht eines Kyrinin beugte sich über ihn, wie er es erwartet hatte. Stattdessen starrte er in die Züge einer dunkelhaarigen, in schwarzes Leder gekleideten Frau, die ein Schwert in einer Scheide schräg über dem Rücken trug.
    »Die Waldelfen haben dich niedergestreckt, aber der tödliche Hieb sollte von einem echten Feind kommen«, sagte sie mit einem harten, kehligen Akzent, der Lekan fremd anmutete.
    Hinter ihr sammelten sich weitere Gestalten. Lekan konnte sie nur verschwommen sehen. Die Kriegerin zog lässig das Schwert über die Schulter. Dann bemerkte sie Lekans verwirrten Blick.
    »Du solltest wissen, warum du stirbst«, sagte sie. »Nun denn, so höre: Die Kinder der Hundert sind gekommen, um dich zu vernichten, dich und die Deinen. Die Geschlechter des Schwarzen Pfads werden sich zurückholen, was ihnen zusteht. Und auf dem Weg, den du nun gehst, werden dir alle vom Haus Lannis-Haig folgen.«
    Lekans Lippen bewegten sich, doch er brachte keinen Laut hervor. Das Schwert sauste nieder, und er fiel in den Dunklen Schlaf.
    II
    Am zweiten Tag kam Orisian mit seinen beiden Leibwächtern schneller voran. Vom Ende des Deichs bis hinunter nach Glasbridge war die Straße besser instand gehalten. Die Ebenen in der Nähe des Flusses eigneten sich gut als Ackerland, und so sahen sie unterwegs unzählige kleinere Höfe. Fast den ganzen Tag über fiel ein frostiger Regen, und nur wenige Menschen außer ihnen benutzten die Straße. Zwei oder drei Flusskähne zogen vorbei. Orisian und seine Begleiter hätten ohne Schwierigkeiten ein Boot finden können, das sie nach Glasbridge mitgenommen hätte, aber die wenigsten Pferde fühlten sich auf schwankenden Schiffsplanken wohl, und auch Orisian zog es vor, im Sattel zu bleiben.
    Der Nachmittag war zur Hälfte vorbei, als sie sich dem Nordtor von Glasbridge näherten, einer geschäftigen Hafenstadt, die sich ebenfalls im Herrschaftsgebiet von Lannis-Haig befand. Der Salzgeruch des Meers und das Kreischen der Möwen erfüllten die Luft und begleiteten sie auf dem Weg zum Hafen hinunter. Am Kai wimmelte

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