Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
war porös und brüchig. Die Gärten selbst wurden allem Anschein nach noch gepflegt, aber der Winter hatte sie ihrer Schönheit beraubt. Leere Beete, braun verfärbte Stängel, Laubhaufen und dürre, immergrüne Büsche – mehr sah Taim nicht. Ein überdachter Säulengang säumte das Viereck der Gartenanlage. Eine gewisse Erstarrung lag über dem Ort.
Am Ende erklärte sich der Gildemeister bereit, mit Taim zu sprechen. Er war ein behäbiger, rundgesichtiger Mann aus Drandar, der Lannis-Haig echtes Wohlwollen entgegenzubringen schien. Wie er erwähnte, hatte er Anduran mehrere Besuche abgestattet.
»Euer Than und seine Vorgänger haben unsere Zunft im Glas-Tal stets unterstützt.«
»Der Wollhandel gehört zum Lebensunterhalt des Lannis-Haig-Geschlechts. Das war schon immer so.«
»Wir erleben traurige Zeiten«, murmelte der Gildemeister. »Aus solchen Unruhen kann nichts Gutes entstehen.«
»Was ist eigentlich geschehen? Wir brachten auf dem Weg von Vaymouth hierher nichts Genaues in Erfahrung.«
Der Gildemeister verriet Unbehagen. Er spitzte die Lippen und blies den Staub von der Steinbank. »Es ist nicht üblich, vertrauliche Berichte an die Gilde nach außen weiterzugeben«, sagte er, setzte jedoch, als er die Enttäuschung in Taims Zügen las, hastig hinzu: »Aber wie Ihr schon erwähntet, war Euer Vater Mitglied unserer Zunft. Außerdem könntet Ihr Euch die Auskünfte ohne Weiteres auch anderswo beschaffen. Das Wissen, das wir besitzen, ist frei zugänglich.«
»Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mich über die jüngsten Begebenheiten aufklären könntet«, sagte Taum.
»Gewiss, gewiss. Das ist verständlich. Ich fürchte nur, dass die Ereignisse, von denen ich zu berichten habe, Eure Sorge noch vertiefen werden. Der letzte Stand der Dinge scheint zu sein, dass es irgendwo zwischen Anduran und Glasbridge zu einer Schlacht kam. Gerain nan Kilkry-Haig fiel, zusammen mit zahlreichen anderen Kriegern. Die Kämpfer vom Schwarzen Pfad blieben siegreich. Anduran befindet sich im Belagerungszustand.«
Taim ließ die Schultern ein wenig nach vorn sinken. »Die Kunde von Gerains Tod ist schlimm. Er war ein guter Mann. Der Verlust wird seinem Vater das Herz brechen. Und Anduran belagert? Wie konnten sich die Geschehnisse derart überstürzen?«
Der Gildemeister hob beunruhigt die Schultern. »Tatsachen und Gerüchte lassen sich nur schwer auseinanderhalten. Aus dem Herrschaftsgebiet Eures Thans erreichen uns die wildesten Berichte. Angeblich kamen Barbaren über den Tan Dihrin, die Menschenfleisch fressen. Flüchtlinge behaupten, ein Heer von Kyrinin ziehe plündernd durch das Tal. Und – so unglaublich es auch klingt – bei dem Überfall auf Kolglas sollen Waldelfen und Inkallim gemeinsame Sache gemacht haben. Eine Horde von Schleiereulen griff die Stadt an, während die Raben heimlich in die Burg eindrangen.«
Taim Narran betrachtete niedergeschlagen seine Hände. Er hätte in der Heimat sein und an der Seite Croesans kämpfen sollen.
»Es tut mir leid«, sagte der Gildemeister. »In solchen unruhigen Zeiten schießen Furcht und Phantasie ins Kraut. Vielleicht ist die Lage nicht ganz so ernst, wie es scheint.«
»Selbst wenn nur die Hälfte der Gerüchte der Wahrheit entspricht …« Taim führte den Gedankengang nicht zu Ende. Der Gildemeister räusperte sich und rückte ein wenig näher.
»Von Vaymouth kam die Nachricht, dass neue Kämpfer einberufen werden. Auch hier und in Drandar soll es Sammelstellen geben. Das größere Heer wird letzten Endes siegen, und da hat Haig gegenüber Gyre alle Trümpfe in der Hand.«
»Bis dahin ist meine Heimat ein Ödland. Hätte der Hoch-Than von Anfang an Schulter an Schulter mit unserem Geschlecht und dem Haus Kilkry-Haig gekämpft, anstatt nur danach zu trachten, einen möglichst großen Schatten nach Süden zu werfen, wäre dies nie geschehen.«
Schon im nächsten Augenblick bereute er seine Worte. Die Zünfte hier besaßen mehr Macht als in seinem Land, waren stärker in das Geflecht von Herrschaft und Einfluss eingebunden. Und obwohl die Wollhändler nicht unbedingt als große Freunde des Haig-Geschlechts galten, war es doch unbesonnen, dem Than der Thane Schlechtes nachzusagen, ohne zu wissen, ob seine Worte weitergetragen wurden.
Dem Gesichtsausdruck des Gildemeisters war nicht zu entnehmen, was er dachte.
»Ist es wahr«, fragte er leise, »dass der Hoch-Than Igryn blenden ließ?«
»Es ist wahr. Die Gnade der Könige.«
Der Gildemeister nickte
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