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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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am nächsten stand, den Speer aus der Hand. Er verzerrte das Gesicht zu einer hasserfüllten Grimasse, trat auf Inurian zu und rammte ihm den Speer mitten in den Leib.
    »Keine Spiele, kleiner Mann!«, zischte er.
    Inurian sank zusammen. Aeglyss richtete ihn mit Hilfe des Speers auf.
    »Ihr habt mich einmal einen Hund genannt, der sich für einen Wolf hält. Sagt, Inurian, was bin ich jetzt? Hund oder Wolf?«
    »Ihr habt das Herz eines Hunds.«
    »Meinetwegen. Aber es schlägt kraftvoller als Eures.«
    »Ich habe meine Wahl getroffen«, murmelte Inurian. Er spürte, wie mit diesen Worten seine letzte Kraft in die eisige Luft entwich. Das Loslassen war leichter, als er gedacht hatte.
    Aeglyss spuckte ihm ins Gesicht. Der Speer glitt zu Boden, und Inurian brach zusammen.
    »Es tut mir leid«, murmelte Inurian.
    »Tötet ihn!«, befahl Aeglyss in der Sprache der Schleiereulen. Die Gemeinschaft des Geistes sang in den Worten, verlieh ihnen eine Macht und Gewalt, der sich die Kyrinin nicht widersetzen konnten. Sie strömten vorwärts, scharten sich um Inurian, und er verschwand unter stampfenden Füßen und Speeren, die auf ihn einstachen. Aeglyss besah sich die Raserei eine Weile, dann kehrte er zurück zu seinem Pferd. Er stieß einen wilden Schmerz- oder Wutschrei aus, als er sich in den Sattel schwang.
    Tief über den Hals seines Pferds gebeugt, ritt Aeglyss davon. Er schaute nicht zurück. Die Kyrinin folgten ihm und verschwanden bald in den Wäldern. Der blutüberströmte Leichnam des Na’kyrim von Burg Kolglas lag verlassen im feuchten Gras und wartete auf die Aasvögel, umgeben vom Rauschen der Wasserfälle.



VON DEN MÄCHTIGEN HÖHEN des Tan Dihrin oder Weltgebirges fließen niedrigere Gipfelketten herab, die wie Arme nach den Ebenen greifen. Eine der längsten ist der Car Criagar, weniger schroff als der nördlich von ihm verlaufende Car Dine, aber immer noch rau und abweisend, ein hoher Wall, der sich zwischen den Tälern der Flüsse Dihrve und Glas erstreckt. Seine unteren Hänge sind bewaldet, während sich in Gipfelnähe windgepeitschte Hochmoore und Geröllfelder abwechseln. In Mulden und an Schattenhängen hält sich der Schnee auch den Sommer über. Wenn das Jahr voranschreitet und die Nächte länger werden, schickt der Tan Dihrin seinen eisigen Atem vom Dach der Welt, und Schneestürme umtosen die Gipfel des Car Criagar. Und doch gibt es in diesen lebensfeindlichen Felsenlandschaften, die Herz und Seele zerbrechen, die Kadaver uralter Städte und Festungen. Wie es heißt, lebte und herrschte dort droben ein Volk, lange bevor die Götter die Welt verließen.
    Es war wohl eine mächtige Rasse, tüchtiger und willensstärker, als wir es heute sind, wenn sie es schaffte, in dieser Ödnis so prachtvolle Bauten zu errichten. Die heutigen Besucher der Ruinen – Kyrinin oder Herrenlose, manchmal auch Jäger aus dem Tal des Glas – kommen als umherstreifendes Lumpenpack. Sie betrachten die verlassenen Orte mit Argwohn und erzählen Geschichten von Geistern und Fabeltieren, die dort lauern. Vielleicht hat ihr Unbehagen aber auch tiefere Wurzeln. Vielleicht wollen sie nur nicht daran erinnert werden, wie armselig sie im Vergleich zu jenen Vorfahren sind, die im Licht der Götter lebten .
    Aus: Hallantyrs Wanderungen
    I
    Dun Aygll war eine Stadt der Erinnerungen in Marmor und Stein. Hier im Norden des Ayth-Haig-Gebiets, am Rande der Grasebenen und Hochmoore, hatten einst die Aygll-Könige residiert, angefangen bei Abban bis hin zu Lerr, dem Kindkönig, der bei In’Vay einem Mordkomplott zum Opfer gefallen war. Vereinzelt sah man noch Paläste, die das Feuer und die Zerstörung nach dem Untergang des Königreichs sowie die anschließenden Sturmjahre überdauert hatten, aber sie waren im gleichen Maße verkommen wie der Wohlstand und die Macht der Ayth-Thane, die nun dort herrschten. Die einstige Größe jener königlichen Prunkbauten, deren stumme Zeugen bröckelndes Mauerwerk und von Unkraut und Efeu überwucherte Mosaiken und Fresken waren, verlieh der Stadt eine gespenstische Aura von Vernachlässigung und Zerfall. In den Höfen und Gärten, durch die nun Rudel verwilderter Hunde streunten, hatten sich Könige ergangen, deren Macht vom Tal der Tränen bis zur Goldbucht reichte. Und unter den Dächern, die einst Glanz und Pomp im Übermaß beherbergt hatten, hausten jetzt die Bettler und die Diebe, die Elenden und die Verzweifelten.
    Nur ein Palast war unversehrt geblieben – ein lang gestreckter,

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