Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Kolkyre, das ihm ein Bote dummerweise fast im gleichen Augenblick ausgehändigt hatte. Für die erste Angelegenheit hatte der Kanzler eine Lösung bereit; die zweite war ungleich schwieriger zu behandeln.
»Über die Goldschmiede«, fauchte Gryvan. »Über die Goldschmiede.« Er ließ sich in einen geräumigen Sessel fallen. Aewult trat an einen Beistelltisch, auf dem Gryvans Diener einen kleinen Imbiss angerichtet hatten, und ließ die Blicke gelangweilt über eine Schale mit Äpfeln und Trauben wandern.
»Also gut«, murmelte Mordyn. Er verschränkte die Hände über dem Bauch und versuchte eine möglichst gelassene Haltung einzunehmen. »Ich untersuche diese Sache seit geraumer Zeit und war deshalb gut auf die jüngste Entwicklung vorbereitet. Wie ich gerade berichtete, ehe die Botschaft von Lagair Haldyn eintraf, ließ Gann nan Dargannan-Haig seinen Halbbruder in einen Hinterhalt locken und umbringen. Im Grunde nützt uns dieser Nachfolgestreit, da er das Haus Dargannan empfindlich schwächt, aber vermutlich dürfen wir nicht länger tatenlos zusehen, wie sich die Titelanwärter gegenseitig aus dem Weg räumen. Wenn wir nicht eingreifen, könnte Gann letzten Endes als Sieger aus den Machtkämpfen hervorgehen.«
»Ja, ja«, sagte Gryvan. Seine erste Erregung ließ bereits nach. Noch stand eine steile Falte auf seiner Stirn, aber die Hand, die den Wein aus einer Karaffe einschenkte, war ganz ruhig. »Aber nun behauptet Ihr, dass die Goldschmiede Gann in der Hand haben. Allem Anschein nach wisst Ihr das schon länger, findet es jedoch nicht der Mühe wert, mich davon zu unterrichten.«
»Gann ist ein Feigling«, warf Aewult beiläufig ein. Seine Stimme klang undeutlich, weil er gerade ein großes Apfelstück kaute. »Für die Dauer des Aufstands, den Igryn anzettelte, hielt er sich auf einer der Inseln versteckt.«
»Er würde selbst dann nicht zum Than taugen«, pflichtete ihm Mordyn bei, »wenn er keine Marionette der Goldschmiede wäre.«
»Aber er ist eine Marionette der Goldschmiede«, fauchte Gryvan. »Mich kümmert es nicht, wer das Haus Dargannan regiert, solange das jeweilige Oberhaupt den Platz kennt, der ihm zusteht. Aber die Goldschmiede sollen sich nicht einbilden, dass sie das Recht haben, einen Than zu küren.«
»In der Tat«, bekräftigte der Kanzler. »Die Gilden versuchten schon immer, auf das Handeln der Thane einzuwirken, und scheuten selten davor zurück, sich die Unterstützung der Herrscher zu erkaufen. Diesmal aber sind sie zu weit gegangen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie nicht nur Gann selbst die Taschen gefüllt haben. Auch die Mitgift für seine Schwester stammt von ihnen. Sein neugeborener Sohn erhielt ein Haus aus dem Gildenbesitz. Und – ich muss es leider gestehen – sie bestachen unsere eigenen Steuereintreiber, damit diese wegschauten, wenn Gann seine privaten Geschäfte mit den Kaufleuten von Tal Dyre machte. Ich kann es nicht beweisen, aber ich bin überzeugt davon, dass sie die Banditen der Freien Küste bezahlten, die Gann als Mörder seines Halbbruders anheuerte. Gann steht so sehr in ihrer Schuld, dass er wohl nie mehr sein wird als ihr willfähriger Lakai.«
Gryvan nahm einen tiefen Zug aus seinem Kelch und stellte ihn dann so hart ab, dass sich ein Teil des Weins über seine Hand ergoss. Wütend schüttelte er die roten Tropfen ab.
»Ich habe sie reich gemacht. Alle habe ich reich gemacht. Seit Haig die Vorherrschaft von Kilkry übernahm, ist der Wohlstand ständig gestiegen. Und die Gilden bekamen mehr davon ab, als ihnen zustand.«
»Sie sind undankbar«, pflichtete ihm der Titelerbe bei. Mordyn vermied es bewusst, ihn anzuschauen. Aewult witterte Blutvergießen und Intrigen, und beides war ganz nach seinem Geschmack. Gryvan verstand es, Maß zu halten; für Aewult schien die blutige Ausübung der Macht nicht das Mittel, sondern der Zweck selbst zu sein.
»Undankbarkeit könnte ich noch hinnehmen«, murrte der Hoch-Than. »Aber wenn sie meine Pläne stören, geht das zu weit. Wir brauchen ein zuverlässiges, gezähmtes, gehorsames Haus Dargannan. Keines unserer großen Eroberungsziele – die Freie Küste, Tal Dyre, Dornach – können wir erreichen, solange wir Dargannan nicht sicher an der Kandare haben. Wer immer sich als neuer Than durchsetzt, er wird meine Marionette sein und nicht die der Goldschmiede.«
»Ich habe einen Vorschlag«, sagte Mordyn.
Der Hoch-Than nickte kurz. Er war jetzt ruhig genug, um den Kanzler anzuhören.
»Das Ganze ist
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