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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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Benommen starrte er auf das Heft des Wurfmessers, das ihm in der Seite steckte. Er hatte keine Schmerzen.
    Gestalten rannten über die Felsen. Die Inkallim bewegten sich schnell und sicher wie bei vollem Tageslicht.
    Rothe hechtete in das Boot, als es sich vom Landesteg löste. Er kniete neben Orisian nieder und paddelte mit einem einzelnen Ruder. Aus den Schatten der hoch aufragenden Burgmauern trieben sie in die offene Bucht hinaus.
    Orisian lag da und spürte, wie die Welt allmählich aus seinen Sinnen schwand. Der Himmel war mit Tausenden winziger kalter Sterne übersät. Das Wasser, das sich unten im Boot gesammelt hatte, durchnässte ihm die Haare. Blut floss ihm über die Hand, die immer noch das Messer in seiner Seite umklammert hielt. Er hörte die Wellen gegen den Bug des Bootes schlagen. Er hörte Rothes angestrengtes Atmen. Und er sah das Gesicht seines Vaters.
    Er schloss die Augen.



DIE CHRONISTEN DER HUANIN werden euch erzählen, dass die Kyrinin alle gleich sind, dass ihre Ähnlichkeit sie verbindet und gegen die gesamte Menschheit abgrenzt. Diese Chronisten verschließen die Augen vor den Zusammenhängen, die sie nicht verstehen. Als der Wandelnde Gott die Kyrinin erschuf, als er lachend über die Welt schritt und sie ins Dasein rief, da erschuf er nicht einen Stamm, sondern deren viele. Huanin und Kyrinin fielen erst übereinander her, nachdem die Götter die Welt verlassen hatten. Die Stämme der Kyrinin hingegen bekriegten sich vom ersten Schöpfungstag an. Und häufiger als alle anderen badeten die Schleiereulen und die Füchse ihre Speere in Blut.
    Die Schleiereulen saugen den Hass auf die Füchse mit der Muttermilch ein. Die Füchse wissen, dass die Schleiereulen ihre Feinde sind, noch ehe sie dieses Wissen in Worte fassen können. Nicht einmal in der Blütezeit der Kyrinin, vor dem Krieg der Befleckten, vor dem Untergang von Tane, jener wundersamen Stadt, die jedes Herz höher schlagen ließ, und vor der Errichtung des Tiefen Waldes durch die Anain kannten Füchse und Schleiereulen so etwas wie Frieden. Viel veränderte sich durch die Neuordnung der Dinge nach dem verlorenen Krieg gegen die Huanin, aber der Hass der beiden Stämme aufeinander blieb bestehen, und sie hüteten ihn so sorgsam wie die nie erlöschenden Feuer ihrer Winterlager. Wer zu den Füchsen gehört, ist der Widersacher der Schleiereulen, und wer zu den Schleiereulen gehört, ist der Widersacher der Füchse. Eher vergeht Stein als diese Feindschaft .
    Aus: Die Geschichte der Kyrinin
    von Adymnan von den Reihern
    I
    Das Heer hatte sein Feldlager in einem Hochtal aufgeschlagen. Ein Meer von tausend Zelten bedeckte das Gras, hier und da durchbrochen von Felsbuckeln. Hunderte von Streitrossen waren auf den flacheren Hängen der umliegenden Berge angepflockt. Die Sonne stand am oberen Ende des Tals. Adler und Raben glitten durch ihr gleißendes Licht und beobachteten von hoch oben die Störenfriede, die in ihr gebirgiges Reich eingedrungen waren.
    Gryvan oc Haig stand vor dem größten aller Zelte, prächtig ausstaffiert mit dem Purpurumhang des Hoch-Thans und einem Brustharnisch aus glänzendem Metall, einer edelsteinbesetzten Schwertscheide und der schweren Goldkette seines Urgroßvaters. Seine Hände ruhten auf dem Schwertheft. Die Spitze der Klinge bohrte sich in das Erdreich zu seinen Füßen, wie um anzudeuten, dass sich ihm selbst das Land unterworfen habe. Kale und andere Männer seiner Leibgarde flankierten ihn. Hunderte von Kriegern hatten sich vor ihnen in einem weiten Halbkreis versammelt. Sie umringten Igryn oc Dargannan-Haig, der vor Gryvan kniete. Die Arme des besiegten Thans waren an ein schweres Holzjoch gefesselt; die groben Stricke hatten seine Handgelenke wund gescheuert. Die Seilschlinge um seinen Hals war weniger straff gespannt.
    Gryvan betrachtete seinen Gefangenen mit unverhohlener Befriedigung. »Wo ist dein Stolz nun geblieben, Igryn?«, fragte er.
    Igryn gab keine Antwort. Sein Kopf berührte fast den Boden.
    »Gefesselt wie ein gemeiner Dieb«, spottete Gryvan. »Ein gerechtes Los für einen Verräter, findest du nicht auch? Für einen treulosen Hund? Für einen, der weniger Pflichtgefühl zeigt als der Geringste unter den Herrenlosen?«
    Aus den Reihen des versammelten Heers waren Hohn- und Beifallsrufe zu hören. Gryvan hob die Hand, um die Stimmen zum Schweigen zu bringen. Er ließ seine Blicke über die dicht gedrängten Krieger schweifen, ließ sie in seine Augen schauen, gab ihnen zu erkennen,

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