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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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gewankt und eingeschlafen waren. Womöglich forderte nun die eisige Nacht einige Menschenleben, die in den Kämpfen der letzten Wochen verschont geblieben waren.
    Taim Narran bahnte sich einen Weg durch das Gewirr. Er wich Männern aus, die ihn in ihre gesellige Runde ziehen wollten, und wehrte die Weinschläuche ab, die man ihm entgegenhielt. Er nahm nicht zum ersten Mal an solchen Feiern teil. Als junger Mann hatte er in Tanwrye die Tage des Siegestaumels erlebt, die dem Triumph über das Haus Horin-Gyre im Tal der Steine gefolgt waren, aufgewühlt und überwältigt von seinem ersten Feldzug. Es war nicht die größte aller Schlachten gewesen – einige tausend Eindringlinge, die noch dazu ohne die Unterstützung der übrigen Gyre-Geschlechter auskommen mussten. Dennoch hatte er sie als berauschend empfunden. Die Lannis-Krieger waren gegen ihren alten Feind in den Kampf gezogen und hatten ihn geschlagen.
    An diesem Abend jedoch regte sich weder Freude noch Erregung in ihm. Er empfand wenig mehr als eine schwache Erleichterung, dass er noch am Leben war – und ein Zerrbild dieser Erleichterung: Schuldgefühle, dass er lebte, während so viele seiner Krieger den Tod gefunden hatten. Eine tiefe Müdigkeit steckte ihm in den Knochen und im Herzen.
    Er gelangte zum Zelt von Gryvan oc Haig und wartete, während einer der Leibwächter die Erlaubnis einholte, ihn zum Than der Thane vorzulassen. Die Kälte nahm zu, und Taim trat von einem Fuß auf den anderen. Plötzlich spürte er fremde Augen auf sich gerichtet. Kale stand halb im Schatten der seitlichen Zeltbahn und beobachtete ihn mit ausdrucksloser Miene. Einige Lidschläge lang trafen sich ihre Blicke. Taim schaute als Erster weg.
    »Bist du gekommen, um Abfälle von der Hohen Tafel zu erbetteln?«, fragte Kale leise.
    Taim spannte sich an. Die Worte des Mannes und die tiefe Verachtung, die sie enthielten, weckten einen heißen Zorn in seiner Brust. Er hatte geglaubt, Herr seiner Gefühle zu sein, doch nun merkte er, wie sie plötzlich durch die Gitterstäbe ihres Käfigs sickerten.
    »Vorsicht, Narran!«, hörte er Kale sagen, als hätte der Mann seine Gedanken gelesen. »Angeblich führst du das beste Schwert im ganzen Glas-Tal, aber in diesem Spiel geht es um mehr.«
    Erneut durchlief Taim eine Woge von Hass, und seine Finger umkrampften gegen jede Vernunft den Schwertknauf. Als er jedoch aufschaute, unsicher, was er tun sollte oder was als Nächstes geschähe, war Kale verschwunden.
    Bis man ihn endlich zum Hoch-Than vorließ, breitete sich in seinem Innern nur noch eine große Leere aus. Er hatte damit gerechnet, dass es ihm schwerfalle, seinen Ärger zu bezähmen und die Worte zurückzuhalten, die er diesem Mann entgegenschleudern wollte. Aber er fühlte sich nur erschöpft, als habe die kurze Begegnung mit Kale seine letzte magere Reserve an Leidenschaft aufgezehrt. In gewisser Weise war er dankbar dafür. Er hatte Roaric nan Kilkry-Haig geraten, seine Wut zu verbergen, und wusste, dass er diesen Rat auch selbst befolgen musste.
    Gryvan oc Haig lümmelte zwischen großen Kissen, die man vor seinem Thron ausgelegt hatte. In einer Hand hielt er einen goldenen Kelch, während er gedankenverloren an einer Hammelkeule nagte und einem halb nackten Tanzmädchen zuschaute, das sich in der Mitte des Zelts drehte und schlängelte. Hinter dem Than der Thane umstanden Spielleute den leeren Thron und begleiteten die Windungen der Schönen mit Leier und Sackpfeifen. Sie trugen lose Hemden aus weißem Damast im Stil der Musikanten, die im Dienst der reichen Handelsfürsten von Tal Dyre standen. Um den Teppich, auf dem das Mädchen tanzte, hatten sich an die fünfzehn Gäste versammelt: Hauptleute der Haig-Truppen, Hofbeamte von Gryvans Residenz und Krieger der Häuser Taral-Haig und Ayth-Haig. Vor jedem von ihnen stand eine Silberplatte mit Fleisch, Brot und Obst. Roaric war nirgends zu sehen. Weder Kilkry- noch Lannis-Kämpfer hatten eine Einladung zu dieser Siegesfeier erhalten.
    Gryvan löste seinen Blick von dem Tanzmädchen und winkte mit der abgenagten Fleischkeule in Taims Richtung.
    »Der Heerführer von Lannis-Haig!«, rief er über die Musik hinweg. »Gesellt Euch zu uns!«
    Taim schüttelte den Kopf. »Nein, danke, Sire«, entgegnete er und wich aus, als die Tänzerin sich zwischen ihn und den Than der Thane schob.
    Gryvan deutete auf das Mädchen. »Schluss jetzt!«, fauchte er. »Es ist genug.«
    Die Musikanten verstummten augenblicklich. Die Tänzerin trippelte

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