Winterwunder
fertig. Vielleicht hat es nicht viel geholfen, ihr Tee zu kochen, ihre Hand zu halten. Vielleicht war das eine klare, vernünftige Antwort, und vielleicht lässt sich nicht immer alles so einfach addieren, aber ich musste irgendwas tun. Wenn jemand, der mir wichtig ist, leidet, aufgewühlt oder einfach traurig ist, muss ich irgendwas tun.«
»Ob die anderen wollen oder nicht.«
»Ja, wahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass der Unfall der Mädchen weniger tragisch ist, wenn man sich umeinander kümmert, oder dass irgendjemand deshalb weniger Mitgefühl mit ihnen und ihren Familien hat. Aber ich habe schon verstanden. Du willst nicht, dass ich dir zuhöre. Du willst nicht, dass ich deine Hand halte. Also bin nur ich es, die dieses Bedürfnis hat, nicht du.«
Sie atmete tief durch, und Mal hörte, wie zittrig sie war. Das schnitt ihm ins Herz, mehr als alles, was sie gesagt und getan hatte.
»Du schmeißt das Glas an die Wand, dann wischst du es auf und wirfst es weg. Das ist deine praktische Art, Malcolm.«
»Manchmal ist eine zerdepperte Flasche nur eine zerdepperte Flasche. Hör mal, ich muss die Räder wieder an diesen Jeep montieren.«
Es war kein Ärger, den er in ihrem Gesicht sah, und dabei war das sein Ziel gewesen. Es war Schmerz – es war dieser eine, zittrige Atemzug.
Sie nickte einmal. »Viel Glück damit.«
Für einen Augenblick, gerade als sie sich zum Gehen wandte, wünschte er, er hätte die Bierflasche noch in der Hand. Um sie noch mal an die Wand knallen zu können.
»Ich dachte, ich sterbe.«
Sie blieb stehen, drehte sich um. Sie wartete.
»Als die Sache schiefging, als ich wusste, dass ich es nicht schaffe, dachte ich, ich könnte noch irgendwie die Kurve kriegen. Aber es war einfach von vorne bis hinten der Wurm drin. Technische Panne, falsche Berechnungen, dazu ein gekürztes Budget, wovon wir an der Front nichts mitbekamen. Ein paar Leute weiter oben haben eine falsche Entscheidung getroffen – warum, spielt eigentlich keine Rolle. Aber das Warum ist der Grund dafür, dass ich am Ende jenes Tages so richtig eins auf die Mütze bekam.«
»Das Warum ist der Grund dafür, dass du verletzt wurdest.«
»Hak es einfach als Super-GAU ab.« Das hatte er gemacht. Hatte es tun müssen, um damit fertigzuwerden. »Jedenfalls dachte ich im ersten Moment, der Stunt geht schief, und im nächsten, ich packe das. Dann … kam der nächste, in dem ich wusste, ich schaff’s nicht und dachte, ich sterbe. Zwischen diesen Gedanken liegen nur Sekunden, aber es kommt dir alles langsamer vor. Du hörst Geräusche, Krachen und Splittern, und außerhalb des Tunnels, in dem du bist, geht alles rasend schnell. Aber drinnen läuft alles in Zeitlupe, so dass sich ein paar Sekunden endlos ziehen. Und du hast eine Scheißangst. Also, bevor du den Schmerz spürst.«
Malcolm musste einmal durchatmen, um sich etwas zu beruhigen. Währenddessen ging Parker zu seiner Werkbank und nahm die Flasche Wasser aus der Kühlbox, die er zusammen mit dem Bier hineingeworfen hatte.
Sie öffnete sie, und ohne den Blick von seinen Augen zu wenden, reichte sie ihm die Flasche.
Himmel, dachte er. Himmel, sie war echt der Hammer. Einfach der Hammer.
»Okay.« Er kühlte seine Kehle. »Wenn du den Schmerz spürst, weißt du, dass du nicht tot bist. Du willst es nur sein. Innerlich schreist du, und es klingt kaum noch menschlich. Nicht einmal einen Schrei kriegst du raus, wenn du an deinem eigenen Blut erstickst. Wenn du keine Luft bekommst, weil deine Lungen zusammenfallen. Du hältst es nicht aus, diese Sekunden, gefangen im Schmerz, wenn du darauf wartest, dass du stirbst. Dass es einfach nur vorbei ist. – Was bringt es dir jetzt, das zu wissen?«, fragte er herausfordernd.
»Es ist ein Teil von dir. Wir sind keine unbeschriebenen Blätter, Malcolm. Was wir gemacht haben, was wir überlebt haben, all das prägt uns. Was mit diesen Mädchen passiert ist, deine Reaktion darauf …«
»Ich weiß auch nicht, warum mich das so umgehauen hat. Vielleicht, weil es ein langer Tag war, vielleicht auch, weil es so nah an zu Hause passiert ist. Ich denke nicht jedes Mal an meinen eigenen Unfall, wenn ich ein Autowrack abschleppe. So ist es nicht.«
»Wie ist es denn?«
»Das ist vorbei, sonst würde ich nicht hier stehen. Es fing schon an, vorbei zu sein, als ich im Krankenhaus aufwachte. Und nicht tot war. Es ist irre, nicht tot zu sein, und ich wollte, dass es so bleibt.« Malcolm stellte das Wasser ab, um Besen und Kehrblech zu
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