Winterwunder
ohne ihn »fliegen lernen« müssen. Er legte sein Werkzeug ab, fuhr den iPod herunter, öffnete dann die Kühlbox, die er auf die Bank daneben gestellt hatte. Er holte eine der beiden Bierflaschen heraus, die er hineingelegt hatte. »Auch eins?«
»Nein.«
Er öffnete das Bier und trank einen langen Schluck, während er sie musterte. »Was auf dem Herzen, Legs?«
»Eine ganze Menge sogar. Ich habe von dem Unfall gehört, von den drei Mädchen. Warum hast du mir gestern Abend nichts davon erzählt?«
»Ich wollte nicht darüber reden.« Das Bild – zersplittertes Glas, Blut, rußgeschwärztes Metall auf der regennassen Straße – blitzte wieder vor seinem inneren Auge auf. »Will ich auch immer noch nicht.«
»Du lässt dich lieber davon auffressen.«
»Es frisst mich nicht auf.«
»Ich glaube wirklich, das ist das erste Mal, dass du mich angelogen hast.«
Es machte ihn – unsinnigerweise – rasend, dass sie Recht hatte.
»Ich weiß, was in meinem Inneren vorgeht, Parker. Und darüber zu reden ändert überhaupt nichts. Es macht die Mädels nicht wieder lebendig und erspart dem Paar in dem anderen Auto auch nicht dieses unglaubliche Leid. Das Leben geht weiter, bis es zu Ende ist.«
So hitzig er sie auch angriff, Parker blieb kühl und ungerührt.
»Wenn ich wirklich glaubte, du wärst so fatalistisch und abgebrüht, würdest du mir leidtun. Aber so ist es nicht. Gestern Abend bist du zu mir gekommen, weil du aufgewühlt warst, aber du konntest oder wolltest mir nicht sagen, warum. Vielleicht hat es dir geholfen, wütend auf mich zu werden, vielleicht konntest du dadurch verdrängen, wie aufgewühlt du warst. Aber das habe ich nicht verdient, Malcolm, und du auch nicht.«
Noch ein Strich in der Sie-hat-Recht -Spalte. Die Trefferquote, Brown 2, Kavanaugh 0, machte ihn echt rasend. »Ich hätte gestern Abend gar nicht kommen sollen, als ich so miese Laune hatte. Willst du eine Entschuldigung? Es tut mir leid.«
»Kennst du mich denn überhaupt nicht, Malcolm?«
»Mein Gott«, murmelte er unterdrückt und trank noch einen Schluck von dem Bier, auf das er überhaupt keine Lust hatte.
»Und lass dieses verächtliche, männliche Gehabe.«
»Ich bin ein Mann«, versetzte er, zufrieden damit, dass er eine Schicht von ihrer Gelassenheit abgekratzt hatte, begierig darauf, weiterzukratzen. »Also benehme ich mich auch wie einer.«
»Dann merk dir mal eins, Malcolm. Wenn ich mit dir zusammen bin, bin ich es auch, wenn du Salti oder Flickflacks machst, und ich bin es sogar, wenn du miese Laune hast.«
»Ja?« Irgendetwas steckte in seiner Kehle, schnürte sie ihm zu, rumorte in seinem Bauch. »Davon habe ich gestern Abend aber nichts gemerkt.«
»Du hast mir ja gar keine …«
»Was verstehst du denn daran nicht, wenn ich sage, ich will nicht darüber reden? Und wie zum Teufel drehst du das Ganze jetzt so, dass es um dich und mich geht? Drei Kinder sind umgekommen, und wenn sie Glück hatten, ging es schnell. Aber bestimmt nicht schnell genug. Fünf, zehn Sekunden lang zu wissen, was kommt, ist eine Ewigkeit. Das, und niemals erwachsen zu werden, nie die Chance zu bekommen, auf ›Wiederholung‹ zu drücken und zu sagen, lass mich das anders machen – das ist ein elendig hoher Preis für ein Mädel, das kaum ein Jahr den Führerschein hatte, und für zwei ihrer Freundinnen. Und das alles wegen eines dummen Fehlers.«
Parker zuckte nicht zusammen, als er die Flasche hob und gegen die Wand schmetterte, doch sie gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem verständnisvollen Brummen war. »Als du gestern gegangen warst, hätte ich beinahe das Gleiche getan. Dann dachte ich, wozu soll das gut sein, ich müsste danach nur alles aufputzen. Hat es geholfen?«, wollte sie wissen.
»Gott, du bist echt eine harte Nuss. Es gibt nicht auf alles eine klare, vernünftige Antwort. Es lässt sich nicht immer alles so einfach addieren, verdammt. Sonst wären die drei Mädchen jetzt nicht tot, bloß weil sie zu schnell gefahren sind und dabei SMS an Freunde verschickt haben.«
Beim Gedanken an diesen Verlust tat ihr das Herz weh. »Ist es so passiert? Woher weißt du das?«
»Ich kenne viele Leute.« Verdammt, dachte er und fuhr sich durchs Haar, während er versuchte, die Wut zu zügeln, die er unvermittelt verspürte. »Hör zu, sie halten das unter Verschluss, bis sie die Untersuchung abgeschlossen haben.«
»Ich verrate nichts. Mrs Grady kennt die Mutter der Fahrerin, und sie war ziemlich
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