Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
vermittelt hatte, es zugeben zu können. Wenn auch nur indirekt. Nun gab es einen Menschen, der Bescheid wusste. Es war nicht mehr ihr Geheimnis. Hoffentlich war sie nicht zu leichtfertig gewesen, doch auf eine unerklärliche Weise war Anke Contoli ihr sympathisch. Vielleicht war es ihre offene direkte Art, mit der sie auf sie zugegangen war. Kurz bevor sie mit ihrem Mann im Weinverkauf erschienen war, hatte Leonie ein kurzes und unbefriedigendes Gespräch mit Onkel Lennart gehabt.
„ Es ist etwas in mir, was ich fürchte, eine unheimliche Macht, mit der ich Dinge ...“, hatte sie versucht, ihm zu erklären. Er jedoch hatte gleich abgewunken.
„ Leonie, mein Kind, du hast schon immer eine dunkle Fantasie gehabt. Ich muss leider los. Auf mich wartet wieder viel Arbeit in Trier.“ Er war kurz angebunden gewesen und nicht so herzlich wie sonst immer. Das hatte sie gehindert, ihn zurückzuhalten und dem Drang nachzugeben, ihm mehr von ihrer Angst und ihrem Geheimnis zu erzählen. Auch hätte sie gern von Dirk gesprochen. Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken an ihn zusammen. Seit seinem Besuch im Weinberg vor mehr als vier Tagen hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Sie hatte sich vorgenommen, ihm heute Abend eine SMS zu schicken und nachzufragen. Aber was genau wollte sie ihn fragen? Hatte er sich womöglich für seine ... Sie dachte nicht zu Ende. Das konnte er nicht, nach alldem, was bereits zwischen ihnen geschehen war. Ihre Gedanken glitten zurück zu Onkel Lennarts Verhalten. Es beschäftige sie im Augenblick mehr als Dirk und die Journalistin. Wieso hatte sie ihm plötzlich nicht mehr vertrauen können und warum war er so merkwürdig gewesen? Er kannte sie doch seit ihrer Geburt. Aber so hatte er sich ihr gegenüber noch niemals verhalten. Für einen Augenblick hatte sie sogar das Gefühl beschlichen, dass er sich in ihrer Gegenwart unwohl fühlte. Aber vielleicht gab es nur wieder einmal eine Meinungsverschiedenheit mit Vater. Und es hatte gar nichts mit ihr zu tun.
Mit einem ›Hallo‹ riss sie der Kreisstadt Echo-Austräger aus ihrer Versunkenheit. Er warf ihr das Blatt auf die Theke, wünschte noch einen schönen Tag und verschwand wieder. Von dem farbigen Titelblatt lachten sie fünf junge Damen im Fußballdress an. Mehr zur Ablenkung denn aus Interesse blätterte sie durch die Zeitschrift. Auf Seite 61 stieß ihr eine Anzeige ins Auge. Sofort jagte eine Hitzewelle durch ihren Körper. Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie glaubte die Welt würde unter ihr zusammenbrechen. Erstaunt nahm sie wahr, wie völlig lautlos, ohne Getöse die Erde wankte. Risse brachen um sie herum auf. Krachten geräuschlos auseinander und wurden zu einem höllischen Graben, der sie verschluckte. Im nächsten Augenblick glaubte sie, in einem Eishaus zu stehen. Ihre Zähne schlugen aufeinander. Ihr Körper zitterte. Die Erkenntnis kroch in ihr hoch wie ein heißer Lavastrom und zerquetschte ihr das Herz. Tief in ihrem Magen spürte sie Übelkeit aufkommen. Sie wusste nicht, wie lange sie fast ohne zu atmen mit ihrem zerstörten Glück in diesem finsteren Graben gefangen war, als ein Kunde sie zurück in den Verkaufsraum beförderte.
„Möchten Sie sich nicht lieber hinsetzen“?“ fragte er sogleich besorgt. „Sie sehen aus, als wäre Ihnen der Teufel persönlich begegnet.“
Leonie schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem elenden Lächeln. Gott sei Dank wusste der Kunde, welchen Wein er wollte. Somit brachte sie die Verkaufsaktion schnell hinter sich. In der Tür drehte sich der Mann noch immer sorgenvoll um. Leonie deutete durch eine entsprechende Geste an, dass alles in Ordnung sei. Ihr Blick tastete sich wieder zu der Zeitung, die ausgebreitet auf der Theke lag. Ruhte dann eine lange Weile auf der Anzeige. Sie war umrahmt von einem großen Herz in einem schwachen Grauton. In schwarzer geschwungener Schrift stand:
Wir heiraten am Samstag, den 24. Juli 2004 um 14.00 Uhr
in der Rosenkranzkirche in Bad Neuenahr
Silke Schenk Dirk Wiegand
Zu unserem Bierabend laden wir alle Freunde ....
In drei Tagen also. Die Zeilen verschwammen vor ihren Augen. Erneut pumpte ihr Magen. Alles drehte sich um sie herum. Sämtliches Blut schien sich in ihrem Bauch versammelt zu haben. Sie erbrach auf dem blanken grün-grauen Kachelboden. Ihre Beine zitterten. Schlapp lehnte sie sich an die Theke und starrte auf ihr Erbrochenes. Die Welt existierte nicht mehr. Kräftige Arme umschlangen sie plötzlich. Sie
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