Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
war nicht einmal mehr in der Lage, zusammenzuschrecken.
„Leonie!“
Eine schwere Hand legte sich auf ihre Schulter. Wie aus weiter Ferne vernahm sie die Stimme ihres Vaters. Nun zuckte sie doch leicht zusammen, und erneute machte sich Übelkeit in ihr breit. Er war der Letzte, den sie sich in diesem Augenblick wünschte. Genau in diesem Moment sehnte sie sich die Journalistin herbei. Mit ihr würde sie reden können.
„Ist dir nicht gut? Du hast ja gekotzt. Komm, ich bring dich auf dein Zimmer.“
Seine Hand streifte, während er sie Richtung Tür drehte, über ihre Brust. Leonie fühlte sich zu schwach, aufzubegehren. Von ihrem Vater umsch lu ngen ließ sie sich bis in ihr Zimmer führen. Doch als er begann, sie aufs Bett zu setzen, ihre Beine nahm, um sie in die liegende Position zu bringen, mobilisierte sie einen Rest Leben in sich. Mit den Händen wehrte sie ihn ab.
„ Danke Vater, es geht schon, ich komm allein zurecht. Es ist niemand im Weinverkauf.“
Das schien er einzusehen.
„Ich sehe später noch mal nach dir, erhol dich.“
„ Nein, nein, brauchst du nicht, es ist alles in Ordnung.“
Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel sie aufs Bett, griff nach der aufgeschlagenen Bettdecke und zog sie hoch und verschwand völlig darunter. Alles Erlebte mit Dirk raste wie ein zu schnell laufender Film durch ihren Kopf. Immer und immer wieder, bis sie sich entschloss, nichts mehr denken zu wollen. Sie konzentrierte sich nur noch auf ihren Atem, wie sie ihn durch die Nase einzog und langsam durch den Mund ausblies. Das beruhigte sie allmählich. Der Schmerz verdunkelte sich, und sie verfiel in einen Halbschlaf. Aber auf bestimmte Geräusche hoch sensibilisiert, vernahm sie die dumpfen Schritte vor ihrer Tür. Sofort warf sie die Decke zurück, schlug die Augen auf, hielt den Atem an und mobilisierte ihre Sinne. Sie hatte nicht zu gesperrt. Ihr erster Impuls war aufzuspringen und den Schlüssel herumzudrehen. Aber es ging ja auch anders. Als sich der Türgriff bewegte, schickte sie all ihre Konzentration dahin. Er sollte ihr Zimmer nicht betreten. Der Griff ließ sich nicht bewegen. Nach mehrmaligen Versuchen gab ihr Vater auf. Sie atmete erleichtert durch, als sich seine Schritte entfernten. Sollte er sie nachher darauf ansprechen, würde sie ihm weiß machen, er hätte sich getäuscht. Zu kraftlos, um sich auszuziehen und das Bad aufzusuchen, blieb sie einfach liegen. Aber nun war sie wach. Die Gedanken an Dirk strömten erneut Gift in ihr Herz. Es fieberte, als der Schmerz über ihn erneut zuschlug. Der Stachel seiner Zurückweisung durchbohrte ihre Brust, dass sie beinahe aufgeschrien hätte. Er hatte sie einfach fallen lassen, nicht einmal ein paar Worte der Erklärung für sie übrig gehabt. Die Zeit, die er ständig eingefordert und die sie ihm gegeben hatte, war nur dafür da gewesen, sie für sein sexuelles Ego zu missbrauchen, um dann schließlich wieder ins Bett seiner Freundin zu kriechen. Er hatte nur hohle Worte von sich gegeben. Keine Taten folgen lassen. Wie von selbst ballten sich ihre Fäuste und die Pein wechselte über in Wut. Bald jedoch gewann der Schmerz aufs Neue die Oberhand. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr Retter in der Sicherheit seines Lebens geblieben und sie letztendlich weiter auf sich selbst gestellt blieb. Ein Gefühl der Schutzlosigkeit glomm in ihr auf. Wellen der Hoffnungslosigkeit schlugen über ihr zusammen. An was, an wen konnte sie sich noch festhalten? Sie hatte nicht einmal Großeltern. Nicht wirklich. Ihre kühle, distanzierte Großmutter war Leonie nie eine Oma gewesen und seit Mutters Tod hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihr. Er war auch vorher eher dürftig gewesen, denn auch Mutter hatte sich in ihrer Ehe von ihren Eltern zurückgezogen. Jetzt dachte Leonie oft, dass ihre Großeltern mit Mutters Wahl nicht einverstanden gewesen waren. Und die Großeltern väterlicherseits waren, nachdem sie sich vor fünf Jahren aufs Altenteil zurückgezogen hatten, in kurzen Abständen hintereinander an Krebs gestorben. Die Journalistin fiel ihr ein. Leonie hatte noch nie in ihrem Leben eine Freundin gehabt. Bei ihr spürte sie intuitiv, dass sie eine werden könnte, obwohl sie einiges älter war. Leonie schätzte sie auf Mitte bis Ende dreißig, aber sie wirkte jugendlich und auf eine Art keck und spitzbübisch mit ihren Sommersprossen auf der Nase. Auf unerklärliche Weise vertraute Leonie ihr. Ihre Gedanken reisten weiter zu Onkel Lennart. Auch ihn
Weitere Kostenlose Bücher