Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
auf sie konzentrieren können. Er hoffte, dass es sich nicht auf ihre bisher liebevolle Beziehung auswirkte. Was hatte sie da gefaselt? Angst vor einer unheimlichen Macht in ihr? Irgendetwas mit Dinge ..., überlegte er angestrengt. Er bekam ihren Satz nicht mehr auf die Reihe. Unwillkürlich reflektierte er, hervorgerufen durch seine Überlegungen, Leonies Erstkommunion. Da hatte er noch als Pastor in St. Laurentius in Ahrweiler gearbeitet. Er sah sie vor sich. Ihre Augen mit dem ungewöhnlich ausgeprägten Kupferring um die Iris hatten ihn vertrauensvoll angesehen. Über ihren Löckchen trug sie ein weißes Kränzchen mit eingeflochtenen Kornblumen. Das war Elenes Idee gewesen. Er lächelte matt. Leonies kleine Hand hatte sich seiner entgegengestreckte, bereit, die Hostie aufzunehmen. In dem Augenblick zwang ihn etwas, hinüberzusehen in die erste Bank zu seiner Rechten, wo ihre Eltern Elene und Herbert Rosskamp knieten. Zu viel Emotionales war in diesen Sekunden auf ihn eingestürmt. Seine rechte Hand mit der Hostie zwischen Daumen und Zeigefinger hatte angefangen zu zittern. Das hatte nicht nur Leonies Aufmerksamkeit erregt. Die gesamte kniende Kinderreihe schaute neugierig zu ihnen herüber. Sicher hatte jedes der Kinderaugen seine mittlerweile schlotternde Hand bemerkt. Leonie hatte einfach nur darauf gestarrt, und als hätte es einen Schnitt gegeben, lag die Hostie ruhig in seiner Hand. Das Schlottern war wie weggeblasen. Nun erinnerte er sich an eine seltsame kurzzeitige Lähmung seiner Hand, die auf das Zittern gefolgt war. Er schüttelte verwundert den Kopf und sah ihre Augen vor sich. Die gleichen Augen wie ihre Mutter. Ein schrilles Hupen ließ ihn zusammenschrecken. Er hatte nicht bemerkt, wie sich sein Wagen langsam der linken Spur näherte. Erschrocken riss er das Steuer herum, kam ins Schleudern und kämpfte mit dem Steuer, bis es ihm gelang, das Fahrzeug wieder in der Spur zu halten. „Himmel, mein Herr“, rutschte es ihm heraus. Nun fuhr er bedächtig langsamer. Auch wenn das ein göttlicher Wink mit dem Zaunpfahl gewesen sein sollte, um ihm zu zeigen, in wessen Händen sein Leben letztlich lag, würde er alles versuchen, Rosskamp an seinem irrsinnigen Vorhaben zu hindern. Auch ohne Gottes Hilfe.
13
Dicker Nebel hatte sich seit dem Vorfall mit Dirk um sie gelegt und schien sich einfach nicht lichten zu wollen. Wiederholt begann in der dichten weißen Hölle, die Erinnerung in ihr zu tanzen. Die Arbeit im Weinberg erledigte sie beinahe automatisch. Sie war dabei, noch einmal die Triebe zu kontrollieren, den ein oder anderen ausbrechenden in Form zu bringen, zu fixieren und zu heften. Es war eine wichtige Arbeit. Nur so konnte das Wuchern verhindert und eine ausreichende Luftzufuhr gesichert werden. Oft versunken in der Leere ihres Inneren, verrichtete sie das Nötigste und schrak heftig zusammen, als sich die Umrisse Thomas Brolls in ihr Sichtfeld schoben. Sie wirkte seit Tagen blass und vermittelte einen lethargischen Eindruck. Das hatte Thomas sicher dazu veranlasst, in den steilen Terrassen der Weinlage Kräuterberg nach ihr zu sehen. Nach ihrem ersten Schrecken freute sie sich darüber. Sie wusste, dass es ihm wegen seiner bevorstehenden Scheidung nicht gut ging, dennoch hatte er immer ein warmherziges Lächeln für sie übrig. Er arbeitete seit mehr als zehn Jahren im Betrieb. Später, die Jahre nach Mutters Tod, hatte sie sich öfter gefragt, ob er von ihr und ihrem Vater wusste? Oder ob er es ahnte? Denn zwischen ihnen war im Laufe der Zeit eine unausgesprochene Vereinbarung entstanden, sich in Vaters Gegenwart unauffällig zu verhalten. Sie hatte manchmal in sich hineinschmunzeln müssen, wie perfekt er diese nie formulierte Abmachung beherrschte. Seltsam, dachte sie jetzt, dass er so sensibel war und sie nie darauf angesprochen hatte. Sie lächelte ihm offen entgegen und vergaß für einige Sekunden das Quälende in ihr.
„ Hallo Leonie! Wie läuft es denn? Wie fühlst du dich? Geht es dir besser?“
Er hielt ihr ihre Arbeitsstrickjacke entgegen. Das Wetter war umgeschlagen. Heute Morgen war sie bei Sonnenschein nur mit ihrer üblichen Bluse bekleidet aus dem Haus gegangen. Da alles um sie herum nichtig geworden war, hatte sie auch keinen Wetterbericht mehr verfolgt. Über den Weinbergen zeichneten sich dunkle Wolken ab. Erst jetzt, bei dem Anblick ihrer Jacke, spürte sie, dass sie fror.
„Danke dir, Thomas und Hallo! Oh je, so viele Fragen auf einmal.“
Rasch schlüpfte sie
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