Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
ihren Gedanken war sie oft so weit weg, als lebe sie nicht auf diesem Planeten. Sie hatte es nicht leicht mit ihrem Vater. Thomas ärgerte sich, dass er sich gestern im Streit mit Rosskamp zu einer nicht fundierten Äußerung hatte hinreißen lassen. Dass er sich auch hatte hinreißen lassen, Leonie seine Liebe zu gestehen, bereute er allerdings nicht. Er fragte sich nur, wie sie damit umgehen würde? Bei dem Gedanken, sie könnte ihn abweisen und damit wäre womöglich ihre Freundschaft zerstört, wurde ihm Angst ums Herz. Aber Leonie, so beruhigte er sich gleich, war nicht der Typ Frau, die ihn hochnäsig belächeln und ihm nur noch die kalte Schulter zeigen würde. Sie besaß viel Herz, das sie die meiste Zeit verschlossen hielt wie in einer Stahlkammer. Er dachte an die Zeit, als ihre Mutter noch lebte. Da hatte sie häufig überwiegend leicht und unbekümmert gewirkt. Er jedoch hatte deutlich gespürt, wie sie unter der kalten Atmosphäre ihrer Eltern litt. Nach Elenes Tod hatte sich Leonie vollends in ihr Schneckenhaus zurückgezogen. Er hatte mehrmals versucht, mit ihr zu sprechen. Ihr zu zeigen, dass er ihr Freund war, aber es hatte gedauert, bis sie endgültig Vertrauen zu ihm gefasst hatte. Irgendwann hatte er entdeckt, dass sie gern malte und sie darin unterstützt. Seither fanden heimliche freundschaftliche Treffen statt. Aber völlig geöffnet hatte sie sich ihm bis heute nicht. Zwischenzeitlich hatte er geheiratet. Leonie wuchs heran. Ihre Schönheit bestach nicht nur sein Herz. Lange hatte er gegen seine Gefühle angekämpft, war bestrebt, eine Familie zu gründen in der Hoffnung, ein Kind würde die Bindung zu seiner Frau verstärken. Aber sie hatte wohl gespürt, dass er in Gedanken und mit seiner Liebe nicht bei ihr war. Schließlich fand sie einen anderen und hatte ihn verlassen. Heute wusste er, dass morgen wieder die Sonne aufgehen würde und dass sein Schicksal Leonie und das Rosskampsche Weingut waren. Erneut sah er auf die Uhr, gleich halb zehn, Zeit, einige Happen zu essen. Er holte sich aus der Küche Kaffee und ein belegtes Brötchen und setzte sich auf die Terrasse. Gäste würden heute wohl wenige kommen. Letzte Nacht hatte es geregnet und heute Morgen war der Himmel grau und verhangen. Es sah auch nicht nach Besserung aus. Zum Glück war es nicht kalt. Herzhaft biss er in sein Käsebrötchen, als er auf der Treppe Schritte vernahm. Er kam nicht weiter dazu, seinen Gedanken nachzuhängen. Zwei Männer erschienen auf der Terrasse und sahen sich um, trafen seinen Blick und kamen auf ihn zu. Wo hatte er den älteren der beiden Herren schon mal gesehen? Die Männer blieben vor seinem Tisch stehen. Der ihm bekannt vorkommende sah ihn einige Sekunden an. Broll schien es, als würde auch er überlegen. Noch schaute Thomas Broll freundlich und erwiderte das knappe›guten Morgen‹. Ernst wurde sein Gesicht erst in dem Moment, als ihm die Dienstausweise vor die Nase gehalten wurden.
„ Mein Name ist Siegfried Münch, Kriminalhauptkommissar, und das ist mein Assistent“, er zeigte auf den jungen Mann neben ihm, „Axel Brückner.“
Broll verschluckte sich fast an seinem Bissen. Kriminalpolizei, dachte er, und weiter, natürlich, jetzt wusste er, woher er den Mann kannte. Er hatte vor Jahren im Todesfall Irmi Lange ermittelt und auch ihn selbst verhört. In Broll stieg die Hitze hoch. Er wusste nicht genau, ob seiner Erinnerung oder weil er unbewusst etwas befürchtete.
„Dürfen wir?“, fragte Münch, und ließ sich ohne eine Antwort abzuwarten, Broll gegenüber auf die Bank fallen. Sein Assistent blieb stehen und sah auf Broll herunter.
„ Bitte, natürlich“, antwortete Broll, obwohl es nicht mehr nötig war.
„ Und Sie arbeiten immer noch hier?“ lächelte Münch säuerlich. Broll deutete ein Nicken an. „Diesmal“, redete der Kommissar gleich weiter, „sind wir hier wegen Herbert Rosskamp.“
„ Ich weiß nicht, wo mein Chef ist. Heute Morgen habe ich ihn noch nicht gesehen.“
„ Das konnten Sie auch nicht“, brachte sich Assistent Brückner ein. Broll sah fragend von einem zum anderen.
„ Ihr Chef ist tot, seit mehr als 48 Stunden.“
Broll fühlte sich nach dieser emotionslosen Eröffnung wie nach einem knallharten Schlag auf den Kopf. Er regte sich nicht, registrierte aber genau, wie die beiden Männer seine Reaktion beobachteten. Er konnte nichts sagen, starrte nur sein Gegenüber an und tausend Gedanken jagten durch seinen Kopf. Intuitiv ahnte er, was ihn
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