Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
fiel ihr plötzlich schwer. Gleichzeitig schlug ihr das Herz bis an die Rippen. Sie hielt es auf ihrem Kopfkissen nicht mehr aus und richtete sich auf. Gefühle unterschiedlichster Art wallten in ihr auf. Sie spürte so etwas wie Erleichterung und zeitgleich Angst und Aufregung mit regelrechten Panikattacken. Leonie versuchte, das Rauschen in ihrem Körper zu durchdringen, quälte sich vor bis zu dem Punkt, an dem ihr Leben aus den Fugen geraten war. Klar und laut sagte sie: „Vater ist nicht mein leiblicher Vater, ich bin frei!“ Wieso war sie dann nicht glücklich? Mit verzerrter Miene sank sie zurück aufs Kopfkissen. Das war alles Blödsinn, Vater hatte sicher gelogen. Wahrscheinlich war er wegen der Auseinandersetzung mit Thomas und seinem eigenen Fehlverhalten ihr gegenüber total von der Rolle. Und wenn es doch stimmte? Sie musste mit jemanden reden. Bei dem Bewusstsein, niemanden zu haben, wurde sie tieftraurig. Vielleicht sollte sie sich doch an Thomas Broll wenden? Ob er einfach zur Arbeit kommen würde? Vaters Kündigung nicht ernst nahm? Die innere Unruhe trieb sie aus dem Bett. Unentschlossen wanderte sie eine Zeit lang im Zimmer umher. Sie ahnte, dass sie in Gefahr war. Vater würde bestimmt forschend nachhaken, wie er auf so ungewöhnliche Weise aus ihrem Zimmer gedrängt wurde. Sie zur Rede stellen. Natürlich könnte sie alles auf eine Sinnestäuschung schieben, aber er war ja nicht dumm und würde ihr das kaum abkaufen. Automatisch nahm sie die paar Schritte zu ihrer Zimmertür. Sie war noch immer verschlossen. Zögerlich drehte sie den Schlüssel in die alte Position, zog vorsichtig die Tür auf, horchte einen Augenblick und huschte über die Diele in ihr Badezimmer. Obwohl es zu dieser frühen Morgenzeit immer still im Haus war, kam es ihr jetzt gespenstisch ruhig vor. Für einen Moment glaubte sie, völlig allein zu sein. Sie hätte gern geduscht, wollte aber keine unnötigen Geräusche verursachen. Selbst das Rauschen des Wasserhahns erschien ihr aufdringlich. Als sie wieder aus dem Bad heraustrat, lauschte sie mit angehaltenem Atem. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf und zwang sich, in einer normalen Gangart ihr Zimmer wieder aufzusuchen. Noch bevor sie sich anzog, schob sie den Stuhl vor ihren Kleiderschrank, stieg darauf und holte ihre Reisetasche vom Schrank.
16
Thomas Broll war am Montag trotz seiner Kündigung zu seinem Arbeitsplatz gefahren, obwohl er mit seinem lädierten Gesicht hätte zu Hause bleiben sollen. Gestern hatte er einige Male mit dem aufgeregten Küchenchef telefoniert, weil weder der Chef noch Leonie zu sehen waren. So hatte Broll ihm Anweisungen gegeben, denn wenn weder er noch Rosskamp noch Leonie da waren, übernahm Jens Hanisch das Sagen. Mit dem alten Jens Hanisch war endlich Stabilität in der Küche eingetreten. Hanisch und Frau Senge waren ein gutes, verlässliches Team. Wo Rosskamp sich aufhalten konnte, vermochte Broll nicht zu sagen, Leonie jedoch verkroch sich des Öfteren stundenlang in ihrem Zimmer, um zu malen. Bei dem Gedanken an Leonie machte sein Herz einen Satz. Wie so oft, wenn er an sie dachte, schlug es rascher vor Erregung. Es hatte ihn all die Jahre Mühe gekostet, seine Leidenschaft, vor allem auch Leonie gegenüber, zu verbergen. Aber jedes Fass ist eines Tages voll. Als Leonie so traurig und fertig aus der Stadt zurückkam, der Alte plötzlich dastand, war der Zeitpunkt dafür erreicht gewesen. Er liebte sie über alles und er würde sie bekommen. Und wenn der Alte noch so einen Feixtanz veranstalte.
Mit seinem unverblümten Erscheinen zur Arbeit heute Morgen wollte Thomas Broll testen, wie sein Chef über das reagieren würde, was auf dem Hotelparkplatz geschehen war. Trotzdem glomm ein unsicheres Gefühl in Broll auf, den beiden zu begegnen, denn keiner würde mit ihm rechnen. Frau Senge hatte Broll aufgeregt begrüßt und erklärt, dass der Chef nirgends zu sehen sei. Erst dann hatte sie die Blessuren in seinem Gesicht bemerkt.
„ Oh jesses, was ist denn mit dir passiert“, hatte sie entsetzt gerufen. Gesiezt wurde in diesem Haus nur Herbert Rosskamp. Broll hatte abg ewunken und war seiner Arbeit nachgegangen. Er kontrollierte die Zeit und wunderte sich, wo Rosskamp blieb. Auch Leonie war noch nicht aufgetaucht. Beides war ungewöhnlich. Sein Verlangen nach der Frau seines Herzens schmerzte ihn körperlich, aber er wusste sich ihr gegenüber beherrscht zu zeigen. Sie sah in ihm nur den Freund, der ihr zur Seite stand. In
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