Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Lokal war es wesentlich kälter als draußen. Sie bemerkte, dass auch Anke ihre Lederjacke enger zusammenzog.
„ Über was wolltest du mit mir reden“, holte Anke sie aus ihren Gedanken.
„ Ich habe unfreiwillig ein merkwürdiges Gespräch zwischen Onkel Lennart und Johannes belauscht.“ Leonie trank einen Schluck und sah unruhig zu dem Pärchen herüber. Dann schüttelte sie leicht ihren Kopf und versuchte, mit beiden Händen ihre Haare zu zähmen. Sie bemerkte, wie nun auch Anke zu dem Tisch in der Ecke schielte. „Ist was mit denen?“
„ Nicht wirklich, nur, ich fühle so eine Anspannung in mir. Ja, das Gespräch?“ lenkte Leonie zum Thema zurück und schilderte, was sie gehört hatte. „Vielleicht ist Johannes ja mein wirklicher Vater?“, schloss sie und schielte aus den Augenwinkeln zu Wolf. Er saß ruhig da, nahm ab und an einen Schluck und schien sich nicht äußern zu wollen. Aber seine warmen braunen Augen drückten Verständnis aus und vermittelten ihr das Gefühl, aufgenommen zu sein mit all ihren Sorgen.
„ Ein äußerst merkwürdiges Gespräch“, bestätigte Anke und zählte die Punkte an ihren Fingern ab. „Erstens, was soll die seltsam formulierte Aussage, dass es ihm nicht mehr behagt, so weit von daheim fort zu sein? Klingt für mich fast wie Reue. Zweitens, mit was und wieso hat der Pastor ihn unterstützt? Wahrscheinlich mit Geld, und weil er wollte, dass Johannes verschwindet“, gab sie sich selbst die Antwort. „Das bestätigt drittens Johannes’ verächtliches Auflachen und viertens auch die Drohung des Pastors, nicht so vorlaut zu sein.“
Nur Leonie vernahm den Jugendlichen, der plötzlich mitten im Lokal stand und ihrem Tisch den Rücken zudrehte. „Ach, hier habt ihr euch verkrochen!“, bellte er zu dem Tisch des verliebten Pärchens und wankte auf sie zu. Leonies Blick richtete sich sofort auf das Messer in seiner Hand. Der Mann am Tisch sprang auf. „Du bist betrunken, Mensch, du bist betrunken! Geh nach Hause und lass uns in Ruhe.“ Seine Stimme besaß einen ruhigen, unterschwellig eindringlichen Klang, der auf den Betrunkenen jedoch keinen Eindruck zu hinterlassen schien. Die Augen des Mädchens waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Sie sah Hilfe suchend um sich. Die Kellnerin drückte sich hinter die Theke und versuchte, das Telefon zu erreichen. Der Freund des Mädchens ging langsam auf den Rivalen zu, der ihm sofort das Messer entgegen streckte. Leonie saß stocksteif und mit zunehmend glasigem Blick auf ihrem Stuhl, starrte auf das Messer, vernahm aber aus den Augenwinkeln, dass Wolf aufspringen wollte. Sie warf ihm einen kurzen, intensiven Blick zu, wobei sie seine Augen fixierte. Er sank aus der sich erhebenden Stellung zurück auf den Stuhl und blieb wie festgewachsen sitzen.
„Du bist wahnsinnig, mach dich nicht unglücklich und gib mir das Messer!“, versuchte der Freund des Mädchens in schierer Verzweiflung die Sache zu schlichten, ehe er die blinkende Klinge unter seinem Kinn spürte.
23
Stillstand, dachte Anke. Sie saßen im Wagen auf dem Parkplatz des Restaurants St. Peter. Die Polizei war fort, und eben verschwanden auch die Rücklichter des Smarts in der Dämmerung. Sie sprachen kein Wort. Anke wusste, dass auch in Wolfs Kopf die Gedanken schwirrten, die zurückliegenden Ereignisse einen Sturm widersprüchlicher Gefühle ausgelöst hatten. Sie waren nicht mehr dazu gekommen, das Gespräch zwischen Pastor Lennart und Johannes zu analysieren. Und auch jetzt vermochte Anke nicht darüber nachzudenken.
„ Sie kann es wahrhaftig“, flüsterte Wolf. „Ich wollte aufspringen, um zu helfen, doch dann sah sie mich an mit diesem Blick, weißt du, den du so oft versucht hast, zu beschreiben. Es waren nur Sekunden, aber er ging mir durch bis in die Fußspitzen. Dann konnte ich mich plötzlich nicht mehr rühren. Es war, als hielte mich eine ungeheure Masse Klebstoff an meinem Stuhl fest. Wolf nahm seine Brille ab und rieb sich mehrmals die Augen, ehe er sie unter einem tiefen Seufzer wieder aufsetzte. „Sie kann es tatsächlich.“ Er lachte hysterisch auf. „Ich höre den Messertyp immer noch panisch schreien: ›Ich kann mich nicht bewegen, ich bin gelähmt, gelähmt.‹“
Anke warf ihm einen Seitenblick zu. „Sie hat ihn einfach mattgesetzt, genau wie dich. Du hättest dich in Gefahr bringen können. Sie wollte dich schützen.“
Ein kurzes Schweigen, ehe Anke meinte. „Mir geht was im Kopf herum. Ich habe bei der Mordsache Rosskamp
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