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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilmar Klute
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die Experten ran. Wir sind alle keine Freunde der schwarzen Pädagogik vergangener Jahrzehnte. Wir wissen, dass es in einer unübersichtlichen Welt wie der heutigen Schwierigkeiten gibt, die es 15 Jahre zuvor nicht gegeben hat. Wir wissen, dass die Anforderungen des Bildungssystems inzwischen sogar die Kinder erreicht haben, die nachts nicht mehr schlafen können, weil sie mit ihren ebenfalls wie Espenlaub zitternden Eltern fürchten, den Übergang auf das Gymnasium nicht hinzubekommen, weil der Notendurchschnitt das nicht erlaubt. Aber es gibt auch in einer auf Optimierung geeichten Welt eine Pflicht zur Selbstverantwortung des Einzelnen. Und vielleicht hat es auch etwas mit Mündigkeit zu tun, wenn eine Studentin davon Abstand nimmt, ihre Lahmarschigkeit beim Lernen als psychische Störung zu begreifen und stattdessen einfach mal loslegt mit dem Arbeiten. Wenn die Eliten ständig damit drohen, über ihrer Elitearbeit verrückt zu werden, muss man sich die Eliten vielleicht wirklich aus China holen, wo Europäer mit ungläubigem Staunen angeschaut werden, wenn sie darum bitten, eine viertelstündige Kaffeepause einzulegen.
    Natürlich wird auch Boreout als legitimes Leiden anerkannt, Psychologen und Verhaltensforscher sind zuverlässig zur Stelle, wenn es gilt, den Gelangweilten mit Attesten beizuspringen. Boreout und Burnout stehen aber auch, so lehren uns die Analytiker, auf unterschiedlichen sozialen Rängen. Und sie verhalten sich in einer Art Attraktivitätskonkurrenz zueinander. Wer sich für Burnout entschieden hat, gilt als Opfer seiner Leistung. Wen dagegen Boreout hingestreckt hat, ist nur unfähig, sich an seinem Arbeitsplatz ordnungsgemäß zu beschäftigen. Die Burnouter stellen gewissermaßen den Adel der Opfergesellschaft, die Boreouter sind das nichtsnutzige Fußvolk. Wie muss eigentlich jemand beschaffen sein, um allen Ernstes zu einem Arzt zu rennen und dem zu sagen: Bitte helfen Sie mir, ich langweile mich zu Tode? Ein normaler Arzt hätte ihm vor zehn, 15 Jahren geraten, sich mal ein bisschen ins Zeug zu legen und Arbeit zu suchen. In jedem Betrieb gibt es genug zu tun, und wenn man mal wieder die Teeküche ein bisschen blank putzt, kann das erstens auch nicht schaden und zweitens ist es keine Schande, auch mal jenseits der eigenen Stellenbeschreibung nützlich zu sein. Und wenn du dazu keine Lust hast, dann sitz doch einfach die paar Stündchen im Büro ab und geh anschließend schön in die Sauna oder spiel mit deinen Freunden Skat. Wo ist das Problem?
    Ja, die Frage »Wo ist das Problem?« hat im Bore- und Burnout-Zeitalter ein bisschen etwas von der Frage nach dem Apportierstock des Hundes. Such den Stock, such das Problem. Jedes Unbehagen muss mit einer potenziellen Erkrankung verlinkt sein. Sieh also zu, dass du in jedem Fall ein pathologischer Fall bist, auch wenn du dich gerade nur langweilst und glaubst, deshalb ein Pfeifen im Ohr zu haben.
    Erstaunlich ist, dass es gegen die Behauptung, man habe nichts zu tun und sei deshalb krank, kaum Widerspruch gibt. In einer Gesellschaft, in der viele Menschen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze bangen, mit geringen Einkünften leben oder mit den Leistungen aus den Hartz-IV-Gesetzen zufrieden sein müssen – in einer solchen Zeit müsste den pathologisch Gelangweilten eigentlich ein scharfer Wind ins Gesicht wehen. Aber niemand herrscht die Boreouter an, niemand sagt ihnen: Reißt euch zusammen, geht doch bitte arbeiten. Oder möchtet ihr mit der alleinerziehenden zweifachen Mutter aus Berlin-Wedding tauschen, die sich gerne mal ein bisschen langweilen möchte, es aber nicht kann, weil ihr Leben von der Sorge um das Überleben ihrer Kinder in Spannung gehalten wird? Nein, es ist ganz anders: Alle nicken verständnisvoll, wenn es heißt, der Herr N. hat sich in seinem hochbezahlten Job krankgelangweilt und muss nun erst mal an den Chiemsee zur Kur.
    Was aber ist mit uns anderen, die wir durchaus auch viel arbeiten, manchmal auch am Wochenende am Schreibtisch sitzen und, sofern etwas Dringendes anliegt, auch nicht in der Bar das Handy auf Stumm stellen? Was ist mit uns, die wir genauso kräftig am Gelingen unseres Gemeinwohls mitwirken und trotzdem nicht ausbrennen wie junge Wunderkerzen? Wir müssen uns kritische Fragen anhören, so als gingen wir mit faulen Tricks durchs Leben, als arbeiteten wir mit doppeltem Boden, als verwendeten wir Dopingmittel. Offenbar ist es eine von vielen vertretene Ansicht, dass eine gute Arbeit im beginnenden 21.

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