Wir beide nahmen die Muschel
durch die
Porte d’ Espagne die Ummauerung der Stadt verlassen. Hier musste ich meine
Entscheidung treffen. Es war ein schöner klarer Tag und die Sonne schien. Viele
Pilger schwenkten nach links in den Bergweg. Fast alle trugen an ihren
Rucksäcken die Muschel, das Zeichen der Pilger. Auch wir trugen sie und waren
sehr stolz darauf! Ich schaute zu Helga rüber. Ich kenne deinen Wunsch, erfülle
ihn dir, war ihre Antwort, ohne eine Frage bekommen zu haben! Ich war
glücklich, auch wir werden den Bergweg gehen und ich werde mir meinen Traum
erfüllen. Auf einem asphaltierten, engen Bergweg ging es sehr steil bergauf.
Helga ging mit einem strammen Schritt vor mir. Sie war mir für den Anfang zu
schnell und ich bremste sie aus. Langsam wollte ich es angehen lassen und
unsere Kräfte für den ersten Tag gut einteilen. Es würde ein sehr schwerer Tag
werden, das wusste ich von meiner Planung. Jeden Pilger welchen wir überholten,
grüßten wir mit einem freundlichen »Buon Camino« (einen guten Weg). Nach ca. 1
km steilem Anstieg erreichten wir eine kleine Ebene. Schau mal Helga, diese
beiden Frauen vor uns. Eine davon trug ihren Rucksack unnatürlich schräg auf
ihrem Rücken. Welchen Fehler wird sie wohl gemacht haben? Wir kamen auf
gleicher Höhe mit ihnen und grüßten freundlich. Es waren zwei Geschwister aus
Wiesbaden. Die Ältere, welche den schrägen Rucksack trug, hieß Maria und war 72
Jahre alt. Sie strahlte in unserem weiteren Gespräch so viel Liebe und Güte
aus. Sie hatte mich restlos begeistert. So eine Frau hätte ich gerne früher als
meine Schwiegermutter gehabt! Ihre Schwester, Marianne mit Namen, war bedeutend
jünger. Wie wir erfuhren, musste sie sehr krank sein. Bis nach Santiago zu
pilgern hatten die beiden sich vorgenommen. So viele Beweggründe der Pilger
gibt es, diesen schweren Weg auf sich zu nehmen:
Zur
Verehrung des Hl. Jakobus.
Den
Wunsch, etwas für sein Seelenheil im Hinblick auf das Jenseits zu tun.
Den
Wunsch des Bösewichtes, aus freien Stücken Buße zu tun und die Vergebung seiner
Sünden zu erhoffen.
Die
Hoffnung auf ein Wunder, auf Heilung langer Krankheiten.
Die
Erfüllung eines Gelübdes nach überstandener Krankheit oder Gefahr.
Natürlich
sehen auch viele diesen Weg als ein sportliches Ereignis.
Wir machten
Maria auf ihrem schrägen Rucksack aufmerksam. Sie hatte dies beim ihrem Tragen
nicht bemerkt. Gerne hätte ich mir einmal ihre Bebänderung angesehen. »Ich habe
im Moment keine Schwierigkeiten«, sagte sie uns. »Wir werden heute nur bis
Orrison gehen. Gestern Abend haben wir im Gasthof anrufen lassen. Es gab zwar
kein freies Zimmer mehr für uns, aber man hat uns zwei Plätze in einem Zelt
reservieren können. Macht euch um uns keine Sorgen. Wir machen alles in Ruhe,
wie haben unendlich viel Zeit.« Kurz danach haben wir uns von diesem
sympathischen Geschwisterpärchen verabschiedet. Nach 5 km Wegesstrecke
erreichten wir nach steilem Aufstieg den Weiler Huntto. 323 m Aufstieg lagen
nun hinter uns. Es war etwas über Null Grad, trotzdem waren wir gehörig ins
Schwitzen gekommen. Im Pilgerbüro hatte man uns den Rat gegeben, 50 Minuten
gehen, dann eine Rast von 10 Minuten einlegen. Gerne haben wir diesen Rat
befolgt. Ein sehr interessantes Gespräch führte ich mit einer Pilgerin aus
Chicago. Sie war bis Paris geflogen und dann mit dem Zug weiter über Bayonne
nach Saint-Jean-Pied-de-Port gefahren. Sie war 36 Stunden unterwegs gewesen,
ohne zu schlafen. Sie schlief bald im Gehen ein, ich habe sie sehr bedauert. Sie
ging auch nur bis Orrison, mehr steckte einfach nicht drin. Mit drei
Amerikanern konnte ich mich unterhalten. Viele Schicksale bekommt man auf dem
Weg erzählt, da ist einfach zuhören wichtig! Nach weiteren 2,5 km erreichten
wir die Auberge Orrison. Hinter dem Haus waren in Hanglage eine ganze Reihe
flache Viermannzelte aufgebaut. Hier wurde versucht, auf schnelle Weise viel
Geld zu verdienen. Mit Schrecken dachten wir an unsere beiden alten Damen, wie
sie wohl darin übernachten werden. Wir hatten nun schon 630 m Höhe erstiegen.
Die erste größere Pause hatten wir uns verdient. Der Gasthof hatte auf der
anderen Straßenseite eine große Terrasse, auf der wir es uns im Sonnenschein
gemütlich machten. Drei Stunden waren wir nun schon unterwegs. Die steile Wegstrecke
hatte uns durch Wald und Wiesen geführt. Je mehr wir höher kamen, umso mehr
bildeten sich in den Talsenken leichter Dunst. Es sah herrlich aus. Nun
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