Wir - die Unsterblichen
obersten Kolonialverwaltung. Da mit so einem Lob auch eine Anerkennungsprämie verbunden ist, müssen derartig optimistische Berichte auf ihren Wahrheitsgehalt nachgeprüft werden.
Genau das aber geschieht auch mit jenen Berichten, die Mißerfolge verkünden. Hier gibt es keine Anerkennungsprämie, dafür jedoch eine manchmal noch höher bemessene Geldsumme als Entwicklungshilfe.
Ich hatte es mir nun angewöhnt, lediglich den Schlußkommentar eines Berichts zu lesen, um Zeit zu sparen. Dann wußte ich, was los war, ohne die langatmigen Schilderungen in mich aufnehmen zu müssen. Ich ordnete die Berichte nach Plus und Minus, um sie an die zuständigen Sachbearbeiter weiterzuleiten. Damit war der Fall für mich erledigt.
Wie gesagt: das machte ich nun bereits seit siebzehn Jahren, und in meinem Kopf schwirrten soviel Daten über unbekannte und bekannte Planeten herum, daß ich sie wirklich nicht mehr unterscheiden konnte. Das war, nebenbei bemerkt, auch nicht meine Aufgabe. Dafür gab es spezielle Erkennungsabteilungen, die Kolonial-Analytik, den Ertrags- und Rentabilitätscomputer, die Verbindungsstelle zur Raumflotte – und meinen Vorgesetzten.
Der sollte eigentlich alles wissen und von jeder Einzelheit unterrichtet sein, aber offensichtlich war das auch nicht der Fall, wie die kommenden Ereignisse beweisen sollten.
Die Mühle der Bürokratie zermahlte eben die wichtigen Kleinigkeiten oft zu einem undefinierbaren Staub, mit dem niemand mehr etwas anzufangen wußte – oder übersah sie einfach.
Letzteres war wohl bei mir der Fall.
An diesem Vormittag wurde ich zum Chef bestellt. Das kam nicht sehr oft vor, und manchmal bekam ich ihn wochenlang nicht zu Gesicht. Privat bestanden zwischen ihm und mir keinerlei Kontakte, und wenn wir uns sahen, dann meist über die Visiphonverbindung. Daß ich ihn in seinem Büro aufsuchte, war in den vergangenen siebzehn Jahren vielleicht knapp zehnmal geschehen.
In Eile durchfurchte ich mein Gedächtnis, aber ich konnte beim besten Willen kein Versäumnis, keinen Fehler finden, den ich vielleicht begangen hätte. Der Jahresurlaub lag gerade hinter mir, also konnte er mir auch nicht schonend mitzuteilen versuchen, daß ich ihn aus personellen Gründen verschieben müsse. Etwas Gutes hingegen konnte eine Bestellung zum Chef niemals bedeuten.
Mit ziemlich gemischten Gefühlen verließ ich mein Büro und steuerte auf den Antigravlift zu, der mich zum obersten Stockwerk brachte. Hier residierte der Chef der Kolonialverwaltung mit seinen engsten Vertrauten und diversen Sekretärinnen, von denen man behauptete, daß ihre attraktive Erscheinung mit ihrem wirklichen Können konform ginge.
Eine dieser Schönen empfing mich im Vorzimmer. Sie musterte mich von oben bis unten, wobei ihre Abneigung gegen einen typischen Bürohocker deutlich spürbar wurde.
»Wenn Sie zum Chef wollen – der ist beschäftigt.«
»Ich bin bestellt«, sagte ich eingeschüchtert. »Clay Winston …«
»Winston?« Sie blätterte in ihren Notizen. »Ja, richtig. Der Chef erwartet Sie. Dort die Tür.«
Ihr Hinweis war überflüssig, weil ich die Tür bereits kannte. Dahinter lag keineswegs das Zimmer des Chefs, sondern das der Privatsekretärin. Selbst heute, im dreiundzwanzigsten Jahrhundert, ließ sich niemand, der Geld genug hatte, die Privatsekretärin durch einen Androiden ersetzen.
Dieselbe Zeremonie also noch einmal:
»Wenn Sie zum Chef wollen – der ist beschäftigt.«
»Ich bin bestellt.«
Die Superblondine warf mir einen erstaunten Blick zu.
»Winston?« erkundigte sie sich enttäuscht. »Clay Winston?«
Ich nickte.
»Der bin ich. Kann ich jetzt …?«
Sie nickte gnädig.
»Sie können. Der Chef erwartet Sie schon.«
Endlich hatte ich alle Hürden genommen, obwohl ich im Grunde gar keinen Wert darauf legte. Mir wäre lieber gewesen, ich hätte den Bescheid erhalten, der Chef sei plötzlich verreist oder hätte eine dringende Besprechung. Auf der anderen Seite plagte mich die Neugier, was er von mir wollte.
Er saß hinter seinem halbrunden Tisch in guter Deckung, denn die Kommunikationsgeräte nahmen den meisten Platz ein. Trotzdem erkannte ich sein energisches und relativ junges Gesicht. Als er mich sah, blinkten seine Augen richtig freudig auf, was ich absolut nicht verstand. Ich hatte weder ein gutes noch ein besonders schlechtes Gewissen.
»Setzen Sie sich, Winston!« rief er mir zu und deutete auf einen Sessel. »Bin gleich bei Ihnen.«
Ich nahm Platz. Jetzt konnte ich ihn nicht
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