Wir - die Unsterblichen
entzückende Negermädchen, zehn oder elf Jahre alt, stürmten mit wehenden Röckchen durch den Park. Sie erblickten den Alten und eilten auf ihn zu, als suchten die Schutz bei ihm vor ihren Verfolgern, zwei kraushaarigen Jungen, etwas älter, aber genauso schwarz wie sie.
»Old Joe!« riefen sie wie aus einem Mund und setzten sich aufatmend rechts und links von ihm nieder. Sie bekamen kaum noch Luft, so schnell waren sie gelaufen, aber sie fühlten sich in Sicherheit. Als die beiden Jungens herankamen und enttäuschte Gesichter machten, begannen sie hell und fröhlich zu lachen. »Ihr seid zu langsam, Bob, Sam. Lauft schneller, wenn ihr vor uns im Haus sein wollt.«
»Mädchen sind immer feige«, stellte Sam lakonisch fest und ließ sich auf der Bank nieder, die der anderen gegenüberstand. Über den Tisch hinweg sah er Old Joe an. »Dabei hätten wir ihnen doch gar nichts getan.«
Auch Bob setzte sich. Er war etwas kleiner und schmächtiger als sein Bruder Sam, besaß aber das gleiche gutmütige, intelligente Gesicht. Er schnaufte verächtlich und enthielt sich jeden Kommentars.
»Wir haben ja nur einen Wettlauf gemacht«, rief Mary, die um einige Minuten jüngere der Zwillingsschwestern. »Und Helen und ich haben gewonnen – nicht wahr, Old Joe?«
Der Alte nickte und lächelte.
»Wenn ich das Ziel eures Wettlaufs gewesen bin, habt ihr allerdings gewonnen. Gebt euch also geschlagen, Bob und Sam.« Er nahm wieder einen Schluck aus dem Weinkrug und betrachtete die vier Geschwister liebevoll, wie es sich für einen Großvater geziemte. »Ihr seid heute früher aus der Schule gekommen.«
»Die letzte Stunde fiel aus«, berichtete Sam. »Geschichte – ein Glück!«
Old Joe runzelte die Stirn.
»Was soll das heißen? Hattest du deine Lektionen nicht gelernt?«
»Geschichte interessiert uns nicht«, teilte Sam mit und sah Bob und die Schwestern beifallheischend an. »Kein Mensch kann sich die ganzen Zahlen merken.«
Old Joe räusperte sich.
»Denkt ihr genauso?« fragte er die anderen. Befriedigt stellte er fest, daß sie nur zögernd nickten. Er griff nach dem Steinkrug, aber dann überlegte er es sich anders. Er konnte später trinken. »Dabei ist Geschichte sehr interessant. Man lernt aus ihr. Wenn man die Vergangenheit kennt, begreift man die Gegenwart viel besser. Hat euch das der Lehrer denn nie gesagt?«
»Doch das hat er«, gab Sam zu und schob seine Schultasche unter den Tisch. »Was gibt es heute zu essen?«
Aber Old Joe ließ sich nicht ablenken. Sein ganzes Leben lang war er stets hartnäckig und zielstrebig gewesen, darum hatte er es auch zu etwas gebracht. Nach Sarahs Tod hatte er seinem Ältesten den herrlichen Besitz mit den riesigen Baumwollfeldern übergeben können. Und nun konnte er hier unter den Maulbeerbäumen sitzen und seine alten Tage genießen.
»Das Essen hat noch Zeit, Sam. Wir werden die ausgefallene Geschichtsstunde nachholen – jetzt und hier.«
Es waren keine sehr begeisterten Gesichter, die ihn verwundert und fast ungläubig anstarrten. Verlegen scharrten ihre Füße in dem Kies.
»Du meinst, du willst uns eine Geschichte erzählen?« fragte Helen und sah wieder ganz fröhlich aus. Sie war der optimistischste Teil der vier Geschwister. »So eine wie damals vom Großen Krieg …?«
»Nicht ganz«, verneinte Old Joe. »Aber eine Geschichte ist es trotzdem. Aber ihr sollt daraus lernen, und wahr ist sie auch. Ihr kennt sie sogar teilweise aus der Schule, aber nicht in ihrer ganzen Konsequenz und Tragweite. Es ist die Geschichte unseres Volkes, des schwarzen Volkes.«
Gegen seinen Willen war Sam ruhig sitzen geblieben und hatte sich vorgebeugt. Seine Arme lagen auf der Steinplatte des Tisches, dicht neben dem Steinkrug mit Old Joes Wein. Gespannt sah er dem Großvater in das faltige, kluge Gesicht. Auch Bob wartete auf den Beginn der Geschichte. Großvater hatte noch nie eine langweilige Geschichte erzählt.
Old Joe streifte die Knaben und dann die beiden Mädchen mit einem forschenden Blick und wußte, daß sie ihm nun zuhören und dabei vergessen würden, daß er sie etwas lehren wollte. Mary und Helen hatten die Schultaschen neben sich gestellt und waren näher zusammengerückt. Es war immer noch warm, denn nicht der leiseste Windhauch strich durch die Büsche des Parks. Das weißgetünchte Herrenhaus mit seinen vielen Fenstern, Türen, Säulen und Treppen lag unter der Sonnenglut und schien zu schlafen. Irgendwo klapperte Küchengeschirr.
»Unsere Urheimat ist
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