Wir erklären den Frieden! (German Edition)
religiöser Ebene behandeln – dann ist er nicht universell –, oder wir heben ihn auf eine andere Stufe, die alle einbezieht, eine universelle Basis bietet. Gemeint ist der Geist, den jeder von uns in sich trägt, der allen Menschen eigen ist. Das ist der Geist, den wir »kartographieren« wollen.
Geistige Demokratie
S. H.: Ich bin voll und ganz mit Ihnen einverstanden, aber ich würde unser Augenmerk gern auf den Aspekt der Demokratie lenken. Sie umfasst alle Menschen, nicht bloß die Bessergestellten, sondern restlos alle. Wenn wir nun weltweit eine entsetzliche Kluft zwischen den Reichsten und den Ärmsten feststellen, muss die Demokratie wirksam werden, sie muss entsprechend reagieren, den Ärmsten zu ihren Rechten und bürgerlichen Freiheiten verhelfen. Das ist Sinn und Zweck von Politik, und damit begeben wir uns wieder auf geistiges Terrain. Wir wollen, dass unsere Regierungen nationale Eigeninteressen überwinden und miteinander kooperieren. Wir brauchen diese internationale Regierungszusammenarbeit und den Multilateralismus, weil wir inzwischen wissen, was wo passiert. Falls jemand im Süden Ägyptens getötet wird, erfahren wir das sofort. Wir brauchen weltweit eine demokratische Führung, die sich im Einklang mit dieser säkularen Ethik, die Sie gerade formuliert haben, für Gewaltlosigkeit und Mitmenschlichkeit einsetzt. Natürlich eine laizistische Demokratie, die allerdings vom Geist der Toleranz beseelt ist, das eine schließt das andere nicht aus. Es kommt mir jedoch nicht zu, das einzufordern, das können nur Sie tun.
D. L.: Doch, Sie sind mir an Jahren voraus, Sie haben uns einiges mitzuteilen. Sie waren unmittelbar nach Gründung der UNO für die Organisation tätig, und Sie waren an der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt, so dass ich Sie heute diesbezüglich um Rat fragen möchte. Die Vereinten Nationen sind das bedeutendste Organ der Welt, aber leider vertreten sie inzwischen ausschließlich die Regierungen, nicht die Völker. Ich weise immer wieder darauf hin, dass die Welt weder Königen noch geistlichen Führern oder Geschäftsmännern gehört, sondern der Menschheit. Die USA gehören ihren 320 Millionen Einwohnern und nicht den Republikanern oder Demokraten. China gehört den 1,3 Milliarden Chinesen, nicht der kommunistischen Partei. Durch das Volk für das Volk, das ist echte Demokratie! Es gibt kein besseres System. 2011 habe ich selbst durch die personelle Trennung vom Amt des weltlichen und des geistigen Oberhaupts Tibets entsprechende Änderungen vorgenommen. Damit ist der Prozess abgeschlossen, der Anfang der 1960er Jahre mit der demokratischen Wahl von tibetischen Volksvertretern eingeleitet wurde, 2001 kam die Wahl des Premierministers der Exilregierung hinzu. Leider kann sich nur die tibetische Exilgemeinschaft an diesen Wahlen beteiligen. Als die Irak-Krise ausgebrochen ist, drängte man mich, nach Bagdad zu fahren und Saddam Hussein zu treffen. Ich erklärte, ein solches Unterfangen sei sinnlos, da ich noch nie mit ihm zu tun gehabt hatte und auch sonst niemanden in Irak kannte. Wie hätte ich überhaupt dorthin gelangen können? Damals hielt ich es für wirkungsvoller, eine Gruppe von Nobelpreisträgern zu einem Irak-Besuch zu bewegen, um die brisante Lage auf friedliche Weise zu entschärfen, ohne Anwendung von Gewalt. Das habe ich sogar auf einer Konferenz des Prager Forum 2000 angeregt, das der vormalige tschechische Präsident Václav Havel mitbegründet hatte. Mein Vorschlag wurde mit großem Interesse aufgenommen. Wenn die Vereinten Nationen sich einschalten, denkt man automatisch, dass die USA oder eine andere politische Supermacht dahintersteckt. Das behindert leider viele Initiativen der UNO. In meinen Augen wird ihre Arbeit auch durch die nicht durchgängig demokratischen Entscheidungsstrukturen erschwert. Das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat 13 ist ein ernstes Problem. So brauchen nur ein oder zwei der ständigen Mitglieder gegen eine mehrheitlich getroffene Entscheidung zu stimmen, um das Verfahren zu blockieren.
Reform der Vereinten Nationen
S. H.: Tatsächlich ist es momentan unerträglich zu erleben, wie Russland und China, beide ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, nur aufgrund ihrer eigenen nationalen Interessen eine UN-Resolution gegen das Regime von Baschar al-Assad verhindern. Dabei bekommen wir über das Internet täglich neue furchtbare Bilder von der grausamen Repression in Syrien. Es ist ohnehin höchste Zeit
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