Wir Ertrunkenen
hören», antwortete er dem Jungen. «Es ist das kalte Meerwasser, das auf das glühende Innere der großen Feuerkessel trifft. Dann dringt der kochend heiße Dampf aus allen Öffnungen des Schiffs. Große Kohlenbrocken fliegen durch den Schornstein und die skylights.»
Er deutete auf die Erindring.
«Da und da. Dann kentert das Schiff und liegt einen Moment lang kieloben da.»
«Kieloben!», rief der Junge aus.
Er blickte begeistert übers Wasser.
«So ein großer Dampfer – und dann kieloben!»
«Ja», sagte Albert, verblüfft über die Wirkung, die seine Geschichte auf den Jungen hatte.
«Erzähl noch mehr», bat Knud Erik und sah erwartungsvoll zu ihm auf.
«Dann fängt der Dampfer an zu sinken, mit dem Achterende zuerst. Am Ende steht der Vordersteven nahezu senkrecht in der Luft. Das Letzte, was man sieht, bevor die Wellen sich über dem Dampfer schließen, ist der Name.»
Albert schwieg. Der Junge zog ihn am Arm.
«Mehr.»
«Mehr gibt es nicht.»
Der Junge sah ihn enttäuscht an. Albert wurde bewusst, dass er zum ersten Mal einen seiner Träume in allen Details nacherzählt hatte. Eine geschlossene Tür hatte sich unerwartet geöffnet. Für den Jungen stellte das Ganze nur ein Märchen dar. Das sah er an dem Leuchten, das plötzlich in seine Augen getreten war. Ihm könnte er alles erzählen, ihn sogar in die Quelle seines Wissens einweihen, die unerklärlichen nächtlichen Träume, und der Junge würde all das als Teil einer Märchenwelt akzeptieren, in der nichts erklärt werden musste und niemand als seltsam abgestempelt wurde, nur weil er in die Zukunft sehen konnte.
Nein, er verstand nichts von Kindern, aber in diesem Augenblick lernte er, dass das kindliche Gemüt keine Vorbehalte kennt. Es gab viel Tod in seinen Träumen. Es gab beinahe nichts anderes. Doch er ahnte, dass
der Tod in einer Geschichte für den Jungen eine Sache war und der Tod in der wirklichen Welt eine ganz andere. Er hatte von einem Schiff erzählt, das von einem U-Boot versenkt wurde, und er wusste, dass der Vater des Jungen zusammen mit dem Rest der Besatzung der Hydra spurlos im Meer versunken war. Es schien jedoch nicht so, als würde der Junge die beiden Ereignisse miteinander in Verbindung bringen.
Albert wusste nicht genau, was es bedeutete, dass er nun zum ersten Mal einen seiner Träume erzählt hatte, aber er wusste, dass es wichtig war.
«Mehr gibt es nicht», wiederholte er, «aber ich kann dir beim nächsten Mal eine andere Geschichte erzählen.»
«Kannst du viele Geschichten?»
«Ja, ich kann viele Geschichten. Und wenn es Frühjahr wird, werde ich dir das Rudern beibringen. Komm, nun müssen wir heim.»
Das Gesicht des Jungen war rot glühend vor Kälte. Er machte ein paar Tanzschritte. Dann steckte er seine kalte Hand in Alberts, und zusammen gingen sie die Havnegade zurück.
Albert begann, bei Knud Erik ein und aus zu gehen. Anne Egidia konnte ja nicht ewig als Vermittlerin herhalten, nun holte und brachte er den Jungen selbst. Ja, der Junge hätte auch allein kommen und gehen können. Groß war die Stadt ja nicht, obwohl beide an ihrem jeweils entgegengesetzten Ende wohnten. Aber er hatte das Gefühl, dass man ihm den Jungen anvertraute. Er hatte eine Verantwortung, also hielt er sich an das Formelle. Er brachte ihn bis zur Tür in der Snaregade und holte ihn dort auch ab.
Die Mutter war jedes Mal stumm vor Befangenheit. Sie hatte entbunden, und wenn er kam, hielt sie den Säugling im Arm, als sollte er sie vor einer Nähe schützen, die sie unsicher werden ließ. Beim ersten Mal hatte er ihre Einladung zu einem Kaffee abgelehnt, weil er keine Umstände machen wollte. Beim zweiten Mal nahm er an. Er hatte Angst, dass sie seine Ablehnung sonst als Ausdruck von Geringschätzung auffassen würde.
An Bord eines Schiffs gab es Unterschiede. Da waren das Vor- und das Achterschiff, und er selbst hatte in dem unantastbaren Bereich gelebt, der dem Kapitän vorbehalten war und den er im Stillen «Insel der Einsamkeit» genannt hatte. Doch diese Unterschiede hatten etwas mit Rang und Autorität zu tun. Sie entsprangen der praktischen Notwendigkeit. Er hatte dabei nie an einen Klassenunterschied gedacht. Bei dem Jungen zu Hause wurden ihm die Augen geöffnet. Knud Eriks Vater, Henning Friis, war Matrose gewesen. Er hatte Klara früh geheiratet und war nicht weitergekommen. Die meisten warteten, bis sie Ende zwanzig wurden, bevor sie heirateten. Dann konnten sie es sich leisten, dann hatten sie ihr
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