Wir Ertrunkenen
Aufforderung nicht und legte stattdessen die Muschel mit einer Miene an ihren Platz im Blumenbeet, als hätte er im Garten eine heimliche Harmonie gestört, als er sie aufhob.
Eine Muschel hatte viele Melodien, für jeden ihrer Zuhörer eine andere.
Für die jungen Leute sang die Muschel von Fernweh und fremden Küsten, für die Alten von Abwesenheit und Kummer. Sie hielt ein Lied für die Jungen und ein anderes für die Alten bereit, eines für Männer und eines für Frauen. Für die Frauen sang die Muschel stets dasselbe: Verlust, Verlust, mit der Monotonie des Wellenschlages am Ufer. Für sie ertönte kein Lockruf, wenn sie das Ohr daran legten, nur Klagegesang.
Sie saßen eine ganze Weile im Garten. Die Sonne verschwand hinter einem Dachfirst. Eine körnige Dämmerung stieg zwischen den Johannis- und Stachelbeerbüschen auf, während der Himmel eine immer violettere Tönung annahm.
«Nein, nun ist es aber Zeit, dass er hereinkommt!»
Klara stand unvermittelt auf. Ihr war der Junge eingefallen. Es war Zeit zu gehen, doch bevor er aufstehen und sich verabschieden konnte, war sie durch die Küchentür verschwunden. Er wartete in der Stube, als sie mit Knud Erik zurückkam. Albert hatte die Stühle wieder mit hereingebracht und an ihren Platz am Esstisch gestellt.
«Ich bin schon viel zu lange hier», meinte er entschuldigend.
«Aber Sie haben ja Ihren Kaffee noch gar nicht bekommen!»
Sie führte ihn zum Tisch und drückte ihn auf einen der Stühle, bewegte sich mit einer Freiheit, die er vorher an ihr nicht gekannt hatte.
«Sie bleiben jetzt hier, bis ich Kaffee gemacht habe.»
Sie zog eine Schublade mit Bettzeug auf und bereitete Knud Erik auf dem Sofa sein Bett. Der Junge zog sich aus und kroch unter die Decke.
«Gehen wir morgen früh fischen?», fragte er.
«Nein, morgen nicht. Wir können nach Langholm rudern und baden gehen, wenn du willst.»
Es kam keine Antwort. Der Junge schlief bereits.
Klara kam mit einer Kaffeekanne aus der Küche.
«Es war ein langer Tag.»
Sie setzte sich ihm gegenüber und goss seine Tasse ein. Die Lampe in der Stube war nicht angezündet, und im Halbdunkel leuchtete die blasse Haut um ihren Halsausschnitt. Sie saßen eine Weile da, ohne ein Wort zu sagen, während es um sie herum immer dunkler wurde. Auf dem Sofa hörte er Knud Erik im gleichmäßigen Rhythmus des Schlafs atmen. Irgendwo in der Nähe schlug eine Uhr mit einem tiefen, dröhnenden Klang. In der zunehmenden Dunkelheit waren ihre Gesichtszüge
nicht mehr zu erkennen, sie verschwammen vor seinem Blick, als würden sie sich zu unbeschreiblichen Grimassen verformen.
«Ich bedanke mich für den Abend», sagte er und stand auf.
Sie fuhr zusammen, als hätte man sie abrupt geweckt.
«Sie gehen jetzt?»
Sie sah auf, ihr Gesicht war ein weißer Fleck in der Dunkelheit, den Ausdruck darin konnte er nicht lesen. War sie etwa angetrunken? Sie hatte das erste Glas Wein geleert, und er hatte ihr nachgeschenkt. Mehr war es nicht gewesen, aber Frauen vertrugen weniger als Männer. Er empfand einen plötzlichen Widerwillen gegen die ganze Situation und wollte fort.
Sie stand auf und begleitete ihn in den Flur, zündete jedoch kein Licht an und schloss die Tür zur Stube hinter ihnen. Sein Herz schlug heftig, wie bei einem Gefangenen, der darum bittet, herausgelassen zu werden. Wieder spürte er diesen stechenden Schmerz in seinem Herzen, dann spürte er sie. Ihre Hände fanden ihren Weg über seine Brust, ohne von seinem klopfenden Herzen Notiz zu nehmen, bis sie unvermittelt die Arme um seinen Hals schlang.
«Ich muss Ihnen doch ordentlich Lebewohl sagen», murmelte sie. Ihre Lippen glitten suchend über sein Gesicht, bis sie seinen Mund fand und ihren darauf presste. Sein Herzklopfen nahm zu, eine schwarze Welle stieg in ihm auf und machte ihn willenlos. Er wollte sie von sich wegstoßen, doch dazu war er nicht in der Lage. Mit ihrem ganzen Gewicht presste sie sich an ihn. Er spürte den weichen Druck ihrer Brüste. Ihr Schoß rieb sich an seinem Körper. Ein klagender Laut entfuhr ihr, es konnte der Auftakt zu einem Weinkrampf sein.
«Mutter!», war aus der Stube zu hören.
Sie erstarrte und hielt die Luft an.
«Mutter, wo bist du?»
Klara atmete mit einem keuchenden Geräusch ein. Ein Ruck ging durch ihren Körper.
«Ich bin hier, im Flur.»
«Du klingst so komisch. Ist irgendetwas mit dir?»
«Nein, schlaf jetzt. Es ist spät.»
«Mutter, was machst du?»
«Ich sage gerade Kapitän Madsen auf
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