Wir Ertrunkenen
er brauchte keine Frau. Diesen beiden Menschen hier konnte er etwas bedeuten, und mit ihrer bloßen Anwesenheit konnten auch sie ihm etwas bedeuten.
Er drehte am Stiel des Weinglases und lachte vor sich hin.
«Worüber lachen Sie?»
«Ach, ich weiß es auch nicht, ich fühle mich nur so wohl hier. Wahrscheinlich lache ich aus Zufriedenheit.»
«Das ist schön zu hören.»
Sie stand auf.
«Jetzt kommt der Nachtisch.»
Sie brachte eine Schüssel mit Roter Grütze und eine Kanne Sahne herein. Knud Erik folgte ihr mit den tiefen Tellern, die er vor jeden Stuhl auf den Tisch stellte.
«Du hilfst deiner Mutter aber tüchtig, wie ich sehe.»
«Ja, er ist ein guter Junge.»
Sie setzte sich und begann, die Teller zu füllen.
«Wenn du mit dem Essen fertig bist, darfst du hinausgehen und spielen.»
Knud Erik schaufelte die Rote Grütze in sich hinein, dass die Sahne über die Tischdecke spritzte. Seine Mutter runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Dann verschwand er aus der Tür. Sie sah ihm nach und lachte.
«Da hat es aber einer eilig.»
«Es ist Sommer», meinte Albert.
In der niedrigen Stube war es halbdunkel, doch die Straße lag noch in vollem Licht. Er schob seinen Stuhl zurück.
«Danke für das Essen. Tja, jetzt ist es wohl an der Zeit, dass ich nach Hause komme.»
Sie senkte den Kopf, als hätte er sie abgewiesen.
«Bleiben Sie doch noch ein bisschen», bat sie und sah ihn an. «Schauen Sie, ich habe ja noch nicht einmal meinen Wein ausgetrunken. Sie haben doch versprochen, mir beizubringen, wie ich ihn schätzen lerne. Dann können Sie doch jetzt nicht einfach so gehen.»
Ihre Stimme klang kokett, es hatte den Anschein, als erlaubte sie sich eine größere Ausgelassenheit, wenn der Junge nicht da war. Er goss ihr Wein nach.
«Dann bleibe ich noch ein wenig. Darf ich vorschlagen, dass wir in den Garten gehen und den Sommerabend genießen?»
Der Vorschlag überraschte sie. Der kleine Garten war ein Nutzgarten, zur Not ein Ziergarten, aber kein Ort, an dem sie Gäste empfing oder ihre freien Stunden verbrachte.
«Lassen Sie mich», sagte er und griff sich zwei der dunkel lackierten Esszimmerstühle mit den hohen Rückenlehnen. Er trug sie durch die Küche und stellte sie nebeneinander in den Garten. Sie verschwand im Schlafzimmer, um nach Edith zu sehen, die während des ganzen Essens
ruhig geschlafen hatte. Kurz darauf erschien sie wieder und setzte sich neben ihn. Er reichte ihr das Weinglas und prostete ihr zu, und als er versuchte, über den Rand des Glases ihren Blick zu erhaschen, ließ sie es geschehen. Das weiche Abendlicht kaschierte ihre Blässe und gab ihrer Haut ein geheimnisvolles, intensives Glühen. Sie lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Einen Moment waren beide verlegen.
Er sah sich den kleinen Garten an. Hinten standen Büsche mit schwarzen Johannis- und Stachelbeeren. Es gab Kartoffeln und Rhabarber. Ein schmaler Gang mit Kieselsteinen führte um die Blumenbeete, die alle mit von Sonne und Salz gebleichten Muschelschalen eingefasst waren, so wie in den meisten Gärten von Marstal üblich. Direkt am Haus lag ein kleines Rosenbeet. Es gab keine Terrasse, und die Stühle balancierten auf den holprigen Pflastersteinen, die mit großen Zwischenräumen in der Erde verlegt waren. Zwischen den Steinen wucherte kein Unkraut. Albert fiel auf, dass der Garten sorgfältig gepflegt war.
Von der Straße her waren Kinderstimmen zu hören. In den Nachbargärten unterhielten sich Frauen gedämpft. Ein Außenstehender hätte das Fehlen von Männerstimmen nicht bemerkt, aber Albert tat es. Der Sommer war die Jahreszeit der Frauen. Mit den ersten Anzeichen des Frühjahrs wurden die Schiffe als frachttauglich gemeldet, und schon bald verließen sie die Leeseite hinter der schützenden Mole. Einige Schiffe kehrten zur Weihnachtszeit wieder heim. Doch viele Seeleute befanden sich auf Langfahrt und blieben jahrelang fort. In ihrer Abwesenheit waren es die Frauen, die das Sagen im Ort hatten. Nun saß er inmitten dieses Frauenlebens in einem Duft von Flieder und Sommer und fühlte sich als Teil des Lebens in der Stadt, wie er es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte.
Er bückte sich und hob eine Muschelschale vom Boden auf. Er hielt sie ans Ohr und lauschte dem brausenden Geräusch, das aus dem gewundenen Gang der Muschel drang.
«Hör», sagte er und reichte sie ihr.
«Sie haben jetzt das Radio erfunden. Als ich Kind war, hatten wir nur Muscheln. Das war unser Radio.»
Sie folgte seiner
Weitere Kostenlose Bücher