Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
Vom Netzwerk:
Eriks Blick würde sie daran hindern, Dummheiten zu begehen, dennoch war Klara Friis rot geworden, als sie die Tür öffnete. Sie trat wie am Morgen für ihn zur Seite und neigte leicht den Kopf. Ihr bloßer Nacken unter dem aufgesteckten Haar wirkte so zerbrechlich, dass er einen Anflug von Lust unterdrücken musste, die Hand so darauf ruhen zu lassen, bis in dem Griff der Drang zu beschützen von dem zu erobern nicht mehr zu unterscheiden gewesen wäre.
    Er konnte die kleine Edith nirgendwo entdecken und erkundigte sich nach ihr. Sie war bereits gefüttert und schlummerte im Schlafzimmer.

    Knud Erik stand neben seinem Stuhl, als sie ihn zu Tisch bat. Sein Haar war mit Wasser gekämmt und klebte ihm am Kopf. Er zog als letzter seinen Stuhl unter dem Tisch hervor, saß unnatürlich steif da und starrte vor sich hin. Eine große Schüssel frisch gekochter Krabben stand auf dem Tisch. Albert hatte den Wein in einem Korb mitgebracht, die Flasche war in eine Damastserviette gewickelt. Nun nahm er sie heraus und öffnete sie mit einem kleinen Plopp. Er hatte sich zunächst nicht entscheiden können, ob er auch Weingläser mitnehmen solle. Ihm war klar, dass sie keine besaß. Doch wenn er mit Gläsern kam, könnte sie es möglicherweise als Kritik auffassen, als Betonung, wie dürftig ihr Haus und ihr Leben war. Aber dann hatten seine Gewohnheiten gesiegt. Er wollte den guten Wein nicht aus simplen Wassergläsern trinken und hatte zu seinen besten Kristallgläsern gegriffen. Tja, alte Männer und ihre Bahnen um eine sterbende Sonne. Auch einen Korkenzieher hatte er mitgebracht.
    Er schenkte die Gläser ein und warf einen Blick auf Knud Erik, der alles aufmerksam verfolgte.
    «Fast hätte ich dich ja vergessen», sagte er und griff noch einmal in den Korb, um eine Flasche Saft vor Knud Erik hinzustellen. Der Junge lachte.
    «Es ist wie bei einem Ausflug», sagte er.
    Er sah, dass die Flasche beschlagen, war und fasste sie vorsichtig an.
    «Sie ist kalt.» Seine Stimme klang sehr verwundert.
    Albert stieß mit Klara Friis an. Sie hielt das Glas, als hätte sie Angst, es fallen zu lassen. Er schaute sie einen Moment über den Rand seines Glases an. Sie errötete und wandte verwirrt den Blick ab, unvertraut mit den Ritualen, die den Genuss von Wein betrafen. Dann beugte sie den Kopf zurück und trank einen Schluck, als ob es sich bei dem hellen Inhalt des Glases um Medizin handelte, die es rasch zu schlucken galt. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Wieder wurde sie rot.
    «Ich möchte auch mal probieren», sagte der Junge.
    «Das ist nichts für Kinder.»
    Die Mutter sah ihn streng an. Albert fiel auf, wie sie hinter der Zurechtweisung ihre Verwirrung über diese Mahlzeit zu verbergen suchte, die sich mit nichts vergleichen ließ, was sie irgendwann einmal erlebt hatte.

    «Ich bin aber kein Kind mehr», widersprach Knud Erik. «Ich verdiene mein eigenes Geld.»
    «Dann darfst du auch probieren.»
    Albert blinzelte der Mutter zu und reichte dem Jungen sein Glas. Der nahm es vorsichtig mit beiden Händen und führte es mit einer zögernden Bewegung zum Mund, als würde er bereits seinen Vorwitz bereuen.
    «Nur einen kleinen Schluck», ermahnte ihn seine Mutter.
    Knud Eriks Gesicht unter dem hellen Sommerhaar verzog sich.
    «Igitt!», stieß er aus. «Schmeckt das sauer.»
    Albert lachte. «Das findet deine Mutter auch.»
    Er blickte hinüber zu Klara, die zu lachen begann.
    «Ja», räumte sie ein, «Wein ist offenbar nichts für mich.»
    «So ist es am Anfang immer. Doch dann lernt man ihn zu schätzen.»
    «Ich nicht», erklärte Knud Erik, «ich werde das nie zu schätzen lernen.»
    Albert wünschte sich in diesem Augenblick, dass die Zeit stehen bliebe. Er besaß eine Familie. Er saß hier mit einem Kind, das sein Enkel, und einer Frau, die seine Tochter sein könnte, mehr wünschte er sich nicht. Er hatte die Einsamkeit der Kriegsjahre hinter sich gelassen und beinahe das Gefühl, ein Zuhause zu haben, das nicht nur aus ihm und seinen Erinnerungen bestand.
    Er dachte an den Nachmittag in der Badewanne und die Koketterie vor dem Spiegel. Er hatte sich mit der hellen Sommerjacke, dem Strohhut und der Blume im Knopfloch hübsch gemacht. Vielleicht war noch eine letzte Glut in ihm. Aber es war wie eine Glut, die plötzlich zu einem Feuer aufflammt, das bereits die ganze Nacht gebrannt hatte. Es findet in der Asche keine Nahrung mehr und erlischt bald wieder. Einen Augenblick hatte er seiner Eitelkeit nachgegeben. Aber

Weitere Kostenlose Bücher