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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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um ihr die Geschichte von Ravn zu erzählen. Er hoffte wohl, davon profitieren zu können.
    «Ich schlug für Henning», sagte er diesmal.
     
    Klara öffnete die Tür.
    «Was willst du?», fragte sie unhöflich, als sie Herman draußen auf der Treppe stehen sah. Als er sie das letzte Mal aufgesucht hatte, war nichts Gutes dabei herausgekommen.
    «Ich habe Neuigkeiten über Henning», antwortete er.
    Sie schwieg, als er seine Geschichte erzählte. Sie war weiß geworden, als er erklärte, er bringe Neuigkeiten über Henning. Sie wurde rot, als er ihr gegenübersaß und damit angab, dass er den Mann windelweich geprügelt habe, der die Hydra versenkt hatte. Als er schließlich behauptete, dass er es für Henning getan habe, wechselte ihre Farbe zurück ins Weiße, und ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich, während sie ihn durch ihre zusammengekniffenen Augen anstarrte.
    Es war nicht klar, was dieser Gesichtsausdruck bedeutete, und einen Moment wurde er unsicher.
    «Sie machen sich möglicherweise nichts aus Prügeleien?»
    Plötzlich verfiel er ihr gegenüber ins Sie.
    Noch immer sagte sie kein Wort. Herman rutschte auf seinem Stuhl herum und bereute, gekommen zu sein.
    Schließlich war sie es, die das Schweigen brach.

    «Ich möchte Sie bitten, mich nach Kopenhagen zu begleiten», sagte sie.
     
    Klara Friis hatte ein Dienstmädchen eingestellt, das sich während ihrer Abwesenheit auch um die Kinder kümmern sollte. Sie war bei I. C. Jensen gewesen und hatte neue Teppiche bestellt und Schreiner Rosenbæk wegen der Größe eines neuen Betts, das ihrem Status als Witwe entsprach, um Rat gefragt. Sie war voller Tatendrang, doch was sie wollte – abgesehen davon, dass sie sich ein Leben einrichtete, das ihren neuen Vermögensverhältnissen entsprach –, wusste niemand.
    Auch auf der Fähre verriet sie Herman nichts. Sie war ihm gegenüber wenig entgegenkommend, was er allerdings auch nicht anders erwartet hatte. Sie hatte ihn neugierig werden lassen, aber er machte sich keine Hoffnungen über das Ergebnis dieser Reise nach Kopenhagen. In ihrem Blick hatte keinerlei Versprechen gelegen. Seine eigene Neugierde war der Grund, dass er sie begleitete. Er war ein Mann, der im Leben nach Möglichkeiten Ausschau hielt, und hier ergab sich vielleicht eine Gelegenheit, obwohl er nicht einzuschätzen vermochte, welcher Art sie sein könnte.
    «Sie kennen doch die Geldleute in Kopenhagen», sagte sie zu ihm.
    Sie verwendete noch immer das formelle Sie, und er zog es ebenfalls vor. Es entwickelte sich dadurch ein geschäftsmäßiger Ton zwischen ihnen, und an Geschäften hatte er Interesse.
    «Ich wünsche, dass Sie mich mit ihnen in Verbindung bringen.»
    Er starrte sie an. War sie dumm oder nur hoffnungslos naiv? Saß sie wirklich da und bat darum, getäuscht zu werden? Er hatte sich keine Gedanken über Klara Friis’ Verstand gemacht, aber es gab keinerlei Grund zu der Annahme, dass sie einfältig war. Vielleicht wollte sie ihn ja nur auf die Probe stellen? Er entschied sich, ihr gegenüber ehrlich zu sein. Das bedeutete allerdings auch, dass er sich selbst gegenüber einen Augenblick lang ungewohnt ehrlich sein musste.
    «Meinen Sie Ingenieur Henckel? Na ja, er war ein Schwindler. Wissen Sie denn nicht, dass er im Gefängnis sitzt?»
    «Das weiß ich wohl. Aber Sie müssen doch noch andere als ihn gekannt haben. Sie verkehrten immerhin an der Börse. Ich muss mit jemandem sprechen, der etwas von Geld versteht.»

    «Meinen Sie Leute wie Negerklatscher oder den Rollenden Fußweg? Ich fürchte, das sind Leute vom gleichen Schlag wie Henckel. Von ihnen sollten Sie nichts Gutes erwarten, wenn Ihnen Ihr Geld lieb ist.»
    «Sie können doch wohl nicht allesamt Betrüger sein?»
    «Vielleicht nicht. Aber für uns gewöhnliche Menschen ist das schwer auseinanderzuhalten.»
    Er sah auf seine großen Hände. Einen Moment hörte er seine eigene Stimme. Es schwang Demut darin mit. Er war es nicht gewohnt, so zu reden. Er sprach über seine eigene Niederlage. Eine Ehrlichkeit lag darin, ja ein geradezu reuevoller Ton, der sich so gut wie nicht mehr verstellte. Er war der Himmelsstürmer, der bereute und aus seinen Fehlern gelernt hatte.
    «Ich bin klüger geworden», sagte er, «ich habe mich an der Nase herumführen lassen. Wieso lassen Sie Ihr Geld nicht einfach dort, wo es ist? Es liegt doch gut da.»
    «Sie verstehen nicht», sagte sie, «ich will etwas anderes.»
     
    Als sie am Kopenhagener Hauptbahnhof ankamen, schwand ihre

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