Wir Ertrunkenen
seine Stimme troff vor Hohn. So stand es zwischen ihnen.
«Das Schlimmste an einem Seemann ist nicht, dass er dir deine Unschuld raubt. Das Schlimmste ist, dass er dir deine Träume nimmt», sagte sie zur Witwe des Marinemalers.
Und nun war die Hydra verschwunden und Henning mit ihr.
«Marstal soll ein guter Ort werden, um hier aufzuwachsen», erklärte sie. «Kein Ort, in dem man die Jungen zu Fischfutter und die Mädchen zu Witwen macht.»
«Glauben Sie wirklich, Sie können den Marstalern den Seemann austreiben? », fragte die Witwe.
«Ja, ich glaube schon. Ich habe die Mittel. Ich weiß, wie man so etwas machen muss.»
Eine neue Form der Verbissenheit war in Klara Friis’ Stimme zu hören, ihr Gesicht wurde hässlich vor Trotz.
Die Witwe fragte sich, ob der Verstand der jüngeren Frau möglicherweise Schaden genommen hatte, entweder vor Trauer oder weil ihr das viele Geld zu Kopf gestiegen war.
Sie lenkte das Gespräch sofort zurück auf das Kinderheim, und Klara Friis wurde zu ihrer Erleichterung wieder vernünftig.
Über den wichtigsten Teil ihres Plans sprach Klara niemals.
An dem Tag, an dem Albert starb, ging Ingenieur Henckel bankrott.
Auf einer Generalversammlung der Aktiengesellschaft Kalundborg Skibsværft, an der er neunundneunzig Prozent des Aktienkapitals besaß,
trat er zur allgemeinen Überraschung für eine Liquidierung seiner eigenen Gesellschaft ein. Hinterher zeigte sich, dass die Werft der Bank von Kalundborg zwölf Millionen Kronen schuldete. Die Bank brach zusammen, und die Dominosteine begannen zu purzeln. Der letzte Stein war die Stahlschiffswerft von Marstal, die in Erfüllung von Bootsbauer Raahauges längst geäußerter Prophetie kollabierte: «Denn das hier – das geht nicht lange gut.»
Nein, es ging nicht gut. Alles war verloren. Beinahe eine Million Kronen war in die Stahlschiffswerft investiert worden. Nun wurde sie versteigert und für fünfunddreißigtausend Kronen verkauft. Der Hotelbesitzer Egeskov würde überleben. Er besaß das Hotel, auf das er zurückgreifen konnte. Aber Herman hatte das Haus in der Skippergade und die Tvende Søstre eingesetzt, nun stand er mit leeren Händen da und hatte Schulden.
Gerichtsverfahren folgten. Edvard Henckel und der Direktor der Bank von Kalundborg wurden verhaftet. Doch selbst der Teufel fand sich in dieser Buchführung nicht zurecht. Henckel war zu schlau für sie gewesen. Er war offensichtlich eine Art Genie, das lediglich die Gesetze des Landes nicht berücksichtigt hatte und auf die falsche Seite geraten war. Ganz offen gestand er alles ein. Er war unverantwortlich gewesen, ja gedankenlos. Aber er hatte doch nur das Beste gewollt.
Wir sahen ihn vor uns. Er erhob sich von der Anklagebank, schwer und massig, mit dem breitkrempigen Hut und den flatternden Rockschößen, als hätte er den frischen Wind der Unternehmungslust, der ihn stets umgab, mit in den Gerichtssaal gebracht. Seine rot gesprenkelten Augen strahlten vor Energie. Er breitete die Arme wie zu einer Umarmung aus, während er all seine Fehler eingestand, als ob er den Richter, die Journalisten, den Verteidiger und den Staatsanwalt zu einer Runde Champagner einladen wollte.
Im Übrigen war er gar kein Ingenieur. Es stellte sich heraus, dass der Titel – wie alles in seinem Leben – selfmade war. Nun musste er ins Gefängnis. Das Urteil von drei Jahren nahm er erhobenen Hauptes entgegen. Er ließ sich nicht unterkriegen, er stürmte durchs Leben, voller großer Pläne für sich und andere. Und wenn sein Weg dabei in eine verschlossene Zelle führte, dann doch nur für eine gewisse Zeit. Er kam ja auch wieder heraus, und dann würden wir schon sehen.
Wir gingen nicht mehr ins Hotel Ærø. Die weißen Hemden ließen wir zu Hause. Sie waren wieder Hochzeiten, Konfirmationen und Begräbnissen vorbehalten. Wir kehrten zurück zu dem abgestandenen Bier in Webers Café, an dessen Geschmack wir uns erst wieder gewöhnen mussten. Wir triumphierten nicht, als wir von der Verurteilung hörten. Wir konnten nicht einmal richtig wütend auf Henckel sein. Sicher, er hatte uns betrogen. Aber zu einem Betrug gehören zwei, und wir hätten unserem eigenen Urteilsvermögen nur etwas mehr vertrauen müssen. Wir fanden nichts Boshaftes an ihm, sein Eifer und sein Tatendrang waren echt gewesen. Sein Problem war nur, dass er seine vielen Ideen selbst nicht mehr im Griff gehabt hatte, bis sie so hoffnungslos verworren waren, dass sie ihm aus den Händen glitten. Aber der Mann war
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