Wir Ertrunkenen
gewillt, etwas aufs Spiel zu setzen. Davor hatten wir Respekt. Wir selbst taten ja nichts anderes. Irgendetwas in Ingenieur Henckel erkannten wir in uns wieder. Nicht seine Schwindeleien, sondern sein Draufgängertum.
Wir stießen auf ihn an, wie wir auf ein Schiff anstießen, das mit Mann und Maus untergegangen war.
Herman suchte die Reedereibüros auf und fragte nach einer Heuer. Wir hatten erwartet, dass er einfach alles liegen und stehen lassen würde, so wie er es damals getan hatte, als Hans Jepsen ihn zurechtstutzte und ihn nicht als Matrose auf der Tvende Søstre anheuern ließ. Er war als großer Mann zurückgekommen. Nicht nur mit dem Mundwerk, sondern eine Weile auch mit dem Geldbeutel, aber dann hatte er alles verloren und war schließlich wieder dort gelandet, wo er begonnen hatte. Man hatte ihn an der Nase herumgeführt. Aber da war er nicht allein. Nicht wenigen von uns war es ebenso ergangen. In gewisser Weise saßen wir im selben Boot.
Wir hatten nicht erwartet, dass Herman aufgrund seiner Niederlage devot würde. Das lag nicht in seiner unbeugsamen, stolzen Natur. Wir waren davon ausgegangen, dass er vor der Demütigung fliehen und erst wieder auftauchen würde, wenn er Geld in der Tasche hatte und sich auf die großsprecherische Art präsentieren konnte, die seinem Wesen nun einmal entsprach. Stattdessen blieb er in der Stadt, die Zeugin seiner Niederlage war, und wollte auf der Albatros anheuern. Uns schien es, als hätte er seine Lektion gelernt und eingesehen, dass das Leben nicht
vorhatte, ihn anders zu behandeln als alle anderen, und eine gewisse Bescheidenheit daher angebracht war.
Im Übrigen benahm er sich so wie immer: angriffslustig und unberechenbar.
Allerdings verstand Herman sein Handwerk an Deck, und daher fiel es ihm nicht schwer, eine Heuer zu finden.
Nach der ersten Reise kehrte er nach Hause zurück wie ein Held, obwohl der Krieg längst vorbei war. Seine Tat für Dänemark hatte er in einem Wirthaus in Nyborg vollbracht, zusammen mit zwei anderen Marstallern, die ebenfalls auf der Albatros angemustert hatten. Es waren Ingolf Thomsen und Lennart Krull.
Er saß in Webers Café und berichtete ausführlich über seinen Einsatz. Ingolf und Lennart nickten. Hin und wieder flochten sie eine Bemerkung ein, die jedoch zumeist darin bestand, «ja», «na klar» oder «bestimmt» zu sagen, wenn Herman ihnen einen auffordernden Blick zuwarf.
Wie gesagt, er hatte mit der Besatzung in einem Wirtshaus in Nyborg gesessen und dann eine Unterhaltung mit diesem Automechaniker begonnen. Ravn hieß er, ein schmieriger kleiner Kerl mit einer Knollennase voller Mitesser und Motoröl an den Händen. Als er hörte, dass sie Seeleute aus Marstal waren, zog er seine Brieftasche heraus und zeigte ihnen die Fotografie eines Schoners, der in Flammen stand.
Sie schauten genau hin, es war die Hydra, die im September 1917 spurlos auf dem Atlantik verschwunden war. Sechs Männer waren umgekommen, der Kapitän stammte aus Marstal, ebenso der Matrose Henning Friis, der eine Witwe, Klara, und den Sohn Knud Erik hinterließ. Spurlos verschwunden. Das bedeutete: nie wieder gesehen, nicht eine Leiche, die es zu bergen und zu begraben gab, nicht einmal ein Rettungsring mit dem Namen darauf, gar nichts.
Ravn stammte aus Sønderborg. Er war während des Krieges von den Deutschen eingezogen worden und hatte auf einem U-Boot gedient. Dort wurden sämtliche Schiffe fotografiert, die das U-Boot versenkte, und die Mannschaft bekam einen Abzug. Zu Hause hatte er ein ganzes Fotoalbum.
«Ich habe die Fotografie hier», sagte Herman, «wollt ihr sie sehen?»
Er reichte das Foto quer über den Tisch und bestellte eine weitere Runde.
Wir erkannten die Hydra sofort. Fast mussten wir seufzen beim Anblick des brennenden Schiffs. Aus dem Schwarzweißfoto hörten wir das Echo all der anderen Schiffsuntergänge, die wir erlebt hatten.
«Nun ja», sagte Herman. «Ravn läuft jedenfalls nicht mehr herum und prahlt damit, dänische Schiffe versenkt zu haben.»
«Wir haben ihn vielleicht ein bisschen zu hart angefasst», sagte Lennart.
Wir bemerkten eine gewisse Unsicherheit in der Stimme.
«Es war ein ehrlicher Kampf. Ravn hätte nur zurückschlagen brauchen. Es gibt keinen Grund, etwas zu bereuen.»
Herman klang wie ein Priester, der die Absolution erteilte.
«Er bekam, was er verdient hat», sagte er zu uns. «Ich schlug für die Toten. Ich schlug für die Hydra.»
Herman absolvierte einen Besuch bei Klara Friis,
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