Wir Ertrunkenen
Ton, dass er seine Holzschuhe auszuziehen habe, bevor er das Wohnzimmer betrete.
Klara Friis gegenüber benahm er sich vorbildlich. Er antwortete höflich auf alle Fragen nach seinen Eltern und seinen Noten in der Schule. Er erwähnte nicht, dass er das monatliche Notenheft, von dessen Existenz seine Mutter überhaupt nichts wusste, stets selbst unterschrieb. Klara war beeindruckt von diesem Musterschüler, dessen Freundschaft ihr Sohn errungen hatte. Bestimmt könnte er ihm mit gutem Beispiel vorangehen. Das Einzige, was sie an Anton nicht mochte, war sein unsteter Blick, der die ganze Zeit über im Wohnzimmer umherschweifte, als würde er sämtliche darin befindlichen Gegenstände registrieren. Unter dem Tisch schwang sein Bein unruhig hin und her. Es kostete ihn gehörige Mühe, sich so ruhig zu verhalten, wie es die Etikette verlangte, wenn man zusammen mit Müttern war.
Sie erkundigte sich nach seinen Plänen für die Zukunft. Vielleicht war es eine etwas seltsame Frage an einen Jungen im Alter von nur elf Jahren, aber schließlich wurde er in zwei oder drei Jahren konfirmiert und verließ die Schule; daher hielt sie es nicht für abwegig, dass er sich bereits Gedanken in dieser Richtung machte.
«Ich werde zur See fahren», erklärte Anton nüchtern, eine Feststellung, die weder Begeisterung noch Resignation ausdrückte, höchstens eine gewisse Verwunderung, dass jemand überhaupt auf die Idee kam, danach zu fragen.
«Knud Erik wird kein Seemann», stellte Klara fest.
Sie sagte es mit Absicht. Ihr Sohn sollte sich von seinen Kameraden unterscheiden. Sie sollten wissen, mit wem sie es zu tun hatten. Mit einem Jungen, der zu etwas anderem bestimmt war als sie.
Anton schaute schnell zwischen Klara und Knud Erik hin und her.
Wieder machte es den Eindruck, als legte er eine Liste über das Inventar des Wohnzimmers an. Sie bemerkte seinen Blick und wusste nicht, wie sie ihn einordnen sollte. Dieser Blick ließ sie unruhig zurück.
«Sie ist ausgefuchst», sagte Anton zu Knud Erik, als sie sich das nächste Mal trafen.
Er klang wie ein Boxtrainer, der seine Einschätzung über einen Gegner liefert. Als er die Wehrlosigkeit in Knud Eriks Gesicht bemerkte, legte er ihm eine Hand auf die Schulter.
«So sind sie alle», meinte er tröstend.
«Sie will dich in irgendein Maklerkontor stecken. Dort sollst du den ganzen Tag im steifen Kragen herumsitzen und aussehen, als wärst du ausgestopft. Aber so geht das nicht.»
«Nein, so geht das nicht.»
Knud Erik sprach die Worte zögernd aus. Er versuchte sich an einem von Antons Sprüchen.
«Es gibt eine sichere Methode, es zu vermeiden», erklärte Anton. «Du musst in der Schule nur schlechter werden.»
In der Schule schlechter zu werden ist schwerer, als man glaubt. Es war ausgesprochen verlockend, den Finger zu heben, wenn man die Antwort kannte. Zu Hause vorbereitet hatte er sich ja. Das tat er geradezu instinktiv. Er wollte ein guter Junge sein.
Bisher hatte Knud Erik zum Klassendurchschnitt gehört. Nun sank er freiwillig ans untere Ende. Seinem Ruf unter den Klassenkameraden schadete es nicht. Allerdings musste man ständig mit einer Strafe rechnen. Der größte Teil des Lehrkörpers bestand aus unverheirateten Fräulein. Einige waren dick, andere mager, aber alle schlugen, keilten, rissen und kniffen mit einer Energie, die ihnen niemand zugetraut hätte. Fräulein Junckersen zog an den Ohren, Fräulein Lærke an den Nackenhaaren, und Fräulein Reimer schlug mit dem Handrücken. Fräulein Katballe legte die Ungehorsamen übers Knie und verabreichte ihnen eine Tracht Prügel, und nur der abgehärtete Anton fürchtete sich nicht davor. Wenn sie zuschlug, lief ihr Gesicht vor Zorn blauschwarz an, und diese unheimliche Farbe und das schmatzende Geräusch, das sie mit Speichel vermischt ausstieß, fürchteten wir mehr als ihre Schläge.
Nur bei Lehrer Kruse konnte man sich nicht drücken. Er war ein Mann mit erheblicher Kraft in den Armen. Faulenzer hielt er aus dem offenen Fenster des zweiten Stocks und drohte damit loszulassen. Auf das blanke Entsetzen, das von dem leeren Raum unter unseren Füßen ausging, konnte sich niemand vorbereiten. In Kruses Stunden wurde jede Frage von einem Wald erhobener Finger beantwortet.
Knud Erik bereitete sich zu Hause vor und hielt in der Schule den Mund. Er fühlte sich nicht sonderlich wohl dabei, aber er verließ sich auf Antons Rat und rechnete mit einer Belohnung in jenem Jenseits, das der langen Wartezeit
Weitere Kostenlose Bücher