Wir Ertrunkenen
meine Worte. Die Frauen werden es jetzt übernehmen.»
Ludvigsen schüttelte den Kopf.
«Den Verstand dazu haben Frauen doch gar nicht.»
«Ich habe auch nicht gesagt, dass sie den Verstand dazu hätten. Ich habe nur gesagt, dass sie von nun an bestimmen werden.»
Knud Erik weinte nachts. Er weinte allein.
Vor der Mutter konnte er nicht weinen. Er war doch ihr kleiner Mann, und ein Mann, egal, ob groß oder klein, weinte nicht vor einer Frau. Er hatte sich auf ihr Weinen vorbereitet, als Albert starb. Er wollte der Tröstende sein, der Mann an ihrer Seite, nun, da ein weiterer fortgegangen war. Es war seine Aufgabe, sich ganz ihres Kummers und ihrer Trauer anzunehmen. Das konnte er. Darauf hatte er sich vorbereitet, und ihre geröteten Augen und ihr freudloses Gesicht versicherten ihm immer wieder, dass er unentbehrlich war. Nur er verstand sie und hörte ihr ernsthaft zu.
Eines Tages, als sie wieder nur dasaß und vor sich hin starrte, legte er eine Hand auf ihren Arm.
«Mutter, bist du traurig?», fragte er. Seine Stimme klang einladend. Sie konnte sich ihrem kleinen Mann anvertrauen.
Ihr Weinen war eine Last, die ihn niederdrückte. Darauf verzichten konnte er allerdings auch nicht. Mit der Last auf seinen Schultern war er jemand. Ohne sie wusste er nicht, ob sie ihn wahrnahm.
«Nein, ich bin nicht traurig», sagte die Mutter. «Lass mich ein bisschen in Ruhe. Ich denke nach.»
Er begann mit Edith zu spielen.
«Wo ist Vater? Wo ist der Mann?», fragte sie.
Ihre Fragen waren nicht ernst gemeint, sie hatte Albert kaum gekannt. «Vater» war nur ein Wort für sie. Wahrscheinlich glaubte sie, es sei sein Name gewesen. Sie war nur ein Kind.
Doch auch Kund Erik wusste inzwischen nicht mehr, was er war. Seine Mutter reagierte auf das Angebot, sie zu trösten, mit einem nie zuvor an ihr gesehenen stieren Blick. Der Pakt zwischen ihnen war aufgehoben, also war er auch nicht länger ihr kleiner Mann. Aber was war er dann?
Knud Erik hatte als ganz kleiner Junge gelernt, dass die Welt einem abhanden kommen und dann von ganz allein wieder auftauchen konnte. Ein Rollo wurde herabgelassen, und alles war verschwunden und finster. Mit einem Knall rollte es wieder nach oben, und die Welt erschien aufs Neue. Das leuchtend blaue Zelt des Tages wich der dunklen Nacht und kam dann erneut zurück.
Verlust bedeutete, dass das Rollo nicht wieder in die Höhe schoss. Verlust war eine Nacht, die niemals zu Ende ging.
Sein Vater war nachts verschwunden, doch lange Zeit hatte er gehofft, dass das Rollo, hinter dem er verschwunden war, sich wieder aufrollen würde. Er suchte am Horizont nach einer Schnur, um kurz daran zu ziehen, damit der Vorhang in die Höhe ging und der Vater zum Vorschein kam. Der Vater, dessen Gesichtszüge sich bereits in einem Nebel auflösten, die er sich jedoch immer wieder heraufzubeschwören versuchte, niemals sicher, ob es tatsächlich dasselbe Gesicht war, an das er sich zuletzt erinnerte. Zurück blieb nur dieses eine Wort. Vater. Einst hatte er einen Vater gehabt, und diese Gewissheit bohrte sich wie ein Loch in sein Gemüt, wie ein weißer Fleck auf der Leinwand seiner Erinnerung.
Nun musste er den Verlust von Albert überwinden.
Er erinnerte sich bei Albert nur an all das Gute und was er ihm bedeutet hatte. Sie waren doch Kameraden gewesen, Freunde; alles war Albert für ihn gewesen, eine ganze Welt in einer Person, die ihn mit Armen umschlang, die so stark waren, dass nichts Böses ihm etwas anhaben konnte. Er wusste, dass der alte Mann ihn geliebt hatte, obwohl dieses Wort nie ausgesprochen worden war.
Im Tod sollte Albert ihm ein letztes Mal helfen.
Anton war rothaarig, und in seinem sehnigen Körper, der mit Sommersprossen übersät war, die die Farbe von Brotsuppe hatten, steckte so viel Kampfeslust, dass Jungen, die weitaus größer waren als er, ihm respektvoll aus dem Weg gingen. Er besaß eine halbzahme Sturmmöwe, die er «Tordenskjold» getauft hatte. Die Möwe ließ es zu, dass er sie in einen aus Peddigrohr zusammengeflickten Bauer steckte, der im Garten seiner Eltern stand. Wenn jemand sich mit Anton gut stellen wollte, betrug der Eintrittspreis einen Hering, der an Tordenskjolds gierigen Schlund zu entrichten war. Die Möwe hatte er als Jungtier auf Langholms
Hoved gefunden, wohin er jedes Frühjahr ruderte, um Eier aus den Nestern zu stehlen, die er Bäcker Tønnesen verkaufte. Der verwendete sie für Sandkuchen und Vanillekringel und hieß daher nur noch «der
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