Wir Ertrunkenen
verblüffte. Als gutartige Naturen hielten sie diese junge Witwe für ein hilfloses Wesen, das ihrer Unterstützung bedurfte. Wenn der umgekehrte Fall eintrat, erstaunte sie das jedes Mal wieder, und doch war es Klara Friis, die ihnen mehrfach aus der Klemme half. Da die Witwen allerdings nicht sonderlich viel Zutrauen zum weiblichen Geschäftssinn hatten, nahmen sie in ihrer Naivität an, dass Klara Friis eher zufällig auf ihre guten Ratschläge gekommen war.
Sie konnten ja nicht wissen, dass sich Klara durch ihren Schriftverkehr zur Maklerin, Schiffsreederin und noch einigem mehr fortbildete. Die Mittel, in deren Besitz sie durch Alberts Tod gelangt war, hatten wie durch Zauberhand ihren schlummernden Verstand geweckt. Bis dahin hatte sie ein Kleinmut gelähmt, der nicht allein an bestimmten, allzu eindrücklichen Erlebnissen ihrer Kindheit gelegen hatte, sondern auch an ihrer Gesamtsituation, die ja nicht unbedingt dazu ermutigte, den Kopf ebenso wie die Hände einzusetzen.
Nun gab es wieder einen Mann in ihrem Leben, doch dieses Mal hatte sie es nicht nötig, vor Verzweiflung ihre schon etwas abgenutzten weiblichen Reize einzusetzen. Markussen war im Gegensatz zu dem unglückseligen Albert weder an Küssen noch an Zärtlichkeiten oder ihren möglichen Folgen interessiert. Es war der Name Cheng Sumei, der sie verband. Und die Aufgabe, die Markussens Neugier auf seine alten Tage ein allerletztes Mal geweckt hatte: Xerxes zu helfen, den richtigen Weg zu finden, um das Meer zu züchtigen.
Sie schrieben sich eifrig und telefonierten häufig miteinander. Hin und wieder reiste Klara Friis auch nach Kopenhagen. Sie schaffte es jetzt allein und brauchte weder Herman noch irgendjemand anderen als Begleitung.
«Du bist nicht daran interessiert, eine Reederei zu übernehmen, die am Rande des Ruins steht», sagte Markussen. «Und die Werft kann rasch wieder rentabel werden. Gib ihnen gute Ratschläge, aber nicht zu gute. Sie sollen kein Selbstvertrauen entwickeln. Du musst ihnen auch weiterhin das Gefühl vermitteln, dass die Katastrophe nur eine falsche Entscheidung entfernt lauert. Erzähl ihnen, wie gefährlich die Welt ist.»
Er schrieb es ihr auf. Es war nicht einfach, alles im Kopf zu behalten. Klara Friis bekam die Unterstützung, die sie brauchte.
Doch sie bestimmte den Kurs.
Die drei Witwen täuschten sich in jeder Beziehung in Klara Friis. Sie überschätzten ihr Wesen und unterschätzten ihre Fähigkeiten. Sie glaubten, ihre Hilfsbereitschaft geschehe ohne Hintergedanken, und das war ihr Irrtum. Sie glaubten, dass ihre oft verblüffend guten Ratschläge reiner Zufall seien, und damit irrten sie sich ebenfalls. Im Grunde waren die Witwen der Ansicht, dass sie Klara einen Gefallen erwiesen, wenn sie ihr zuhörten. Sie boten ihr ihre Gesellschaft und ein wenig Aufmerksamkeit an, und war es nicht das, was eine junge Frau in ihrer Situation – getroffen von einem furchtbaren Verlust und allein mit zwei Kindern – brauchte?
Sie schenkten ihr selbstgebackenes Brot.
«Meine Liebe», sagte Johanne und tätschelte ihr die Wange.
Sie erkannten sich in ihr wieder. Sie war eine Frau und daher per definitionem ebenso hilflos wie sie, wenn es um die Angelegenheiten der großen weiten Welt ging.
Lange zögerten sie, doch dann endlich dämmerte es ihnen. Um der unangenehmen Situation zu entkommen, in die sie ihr Witwenstand gebracht hatte, brauchten sie etwas, das Frauen zu allen Zeiten gebraucht haben, wenn sie im Dschungel überleben wollten: einen Mann.
Und der Mann kam. Er hieß Frederik Isaksen, war dänischer Konsul in Casablanca und Angestellter bei einer angesehenen französischen Maklerfirma. Begonnen hatte er bei Møller in Svendborg. Dann war er bei Lloyd in London gewesen. Eine Reihe von Kapitänen der Reederei, die Casablanca regelmäßig anliefen, hatte ihn empfohlen. Kompetent, ein Mann mit Weitblick, hatte der Kommandeur gesagt. Er war zum Sprecher der Kapitäne ernannt worden.
«Nun ja, aber geht er denn seiner Arbeit auch ordentlich nach? Kann man mit ihm reden?», hatte Ellen gefragt.
«Hoffentlich nicht zu draufgängerisch?», ergänzte Johanne ängstlich, als der Kommandant den Begriff «Weitblick» erwähnte.
«Ja, ich habe von ihm gehört», sagte Markussen am Telefon. «Einen
Mann wie Isaksen könnte ich selbst gut gebrauchen. Er ist ein Mann mit Schwung und würde nicht nach Marstal gehen, wenn er in der Stadt lediglich ein Provinznest sähe. Der alte Boye hat es offenbar besser
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