Wir Ertrunkenen
verabschiedete sich mit gerunzelter Stirn. Er spürte, dass er gleichzeitig ein Schauspiel und durchaus Authentisches erlebt hatte, aber er verstand nicht, welchen Sinn diese Komödie haben sollte. Dass er gerade in Gestalt dieser Frau, die eher einem verzagten Dienstmädchen glich, seinem Hauptfeind begegnet war, begriff er nicht.
Wenn er nicht seine Besuche bei den Reedereien der Stadt absolvierte, bearbeitete Isaksen die drei Witwen. Er sprach mit ihnen eine Sprache, von der er glaubte, sie würden sie verstehen. Er redete über den Haushalt, über Einkäufe und Ausgaben, über Rechnungen und Dienstboten. Er verglich die See und die Schiffe mit der Haushaltsführung, denn er wusste, dass sie gute Hausfrauen waren, und versuchte, ihnen begreiflich zu machen, dass es tatsächlich keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer Reederei und der Arbeit, die sie aus ihrer täglichen Erfahrung kannten, gab.
Womit er gerechnet hatte, traf ein. Die Witwen beruhigten sich. Sie hörten nicht länger, wie ihnen die Kugeln um die Ohren flogen. Isaksen hatte getan, worum er gebeten worden war. Er hatte sie vom Schlachtfeld geführt und ihnen die Verantwortung abgenommen.
Isaksen hielt eine Versammlung für die Eigentümer und das Personal der Reedereien sowie die Kapitäne, die in diesen Tagen zu Hause weilten, ab. Er lud auch ihre Ehefrauen ein. Er war klug genug einzusehen, dass die Frauen einen Machtfaktor darstellten, nicht nur bei den häuslichen Angelegenheiten, sondern auch bei den die See betreffenden Dingen. Er reservierte die Marinestube im Hotel Ærø. An den Wänden hingen blaue Wandteller aus königlichem Porzellan, die Dannebrogs-Flagge und Gemälde der Schiffe, die in der Stadt ihren Heimathafen hatten. Er ließ drei Gänge servieren und gab dem Hotelkoch das Rezept einer Bouillabaisse, von der er wusste, dass viele Kapitäne sie von ihren Reisen ins Mittelmeer kannten. Als Hauptgericht wählte er einen traditionellen Rinderbraten mit Fettkruste. Zwischen Suppe und Hauptgericht hielt er seine Rede.
Es sprach über die Zukunft.
Er erzählte von seinen Erlebnissen in Casablanca, der Hafenstadt, aus der er hierhergerufen worden war, weil so viele Kapitäne aus Marstal ihn kennengelernt und er offenbar einen guten Eindruck bei ihnen hinterlassen hatte. Nun wollte er die Gelegenheit nutzen, sich dafür zu bedanken. Und doch, so sagte er, hätte er immer mit Wehmut im Herzen gesehen, wenn ein Schiff aus Marstal Casablanca verließ, denn jedes Mal hatte er gespürt, dass er es dort zum letzten Mal auslaufen sehen würde. Er hatte nicht daran gedacht, dass das Schiff auf der Heimfahrt sinken könnte, obwohl diese tragische Möglichkeit selbstverständlich immer bestand. Nein, er dachte an etwas ganz anderes: dass das Schiff schlichtweg verschwand und nie wieder gesehen wurde. So merkwürdig dies in den Ohren der sehr verehrten Zuhörer auch klingen mochte, dieses Schicksal war weitaus wahrscheinlicher als irgendein Untergang, ja, tatsächlich war dieses Schicksal den Schiffen aus Marstal so sicher, wie die Sonne am Abend unter- und am Morgen wieder aufgeht. «Ihr werdet», erklärte er, «ziemlich verblüfft sein, mich so etwas sagen zu hören.»
Er konnte sich der vollkommenen Aufmerksamkeit seiner staunenden Zuhörer sicher sein. Nicht einer von uns ahnte, worauf er mit dieser merkwürdigen Behauptung hinauswollte.
«Aber hört mir zu», fuhr er fort, «ich kann euch meine seltsame Prophezeiung nicht nur erklären, sondern euch darüber hinaus auch zeigen, wie ihre Erfüllung zu vermeiden ist. Die Ursache meiner Verzagtheit, wenn ich verfolgte, wie ein Schoner aus Marstal vor Casablancas Reede den Anker lichtete …»
Er senkte den Blick, so dass die langen Wimpern seine sonnengebräunten Wangen berührten und bis zum Ende des großen Tisches gesehen werden konnten – mit dem Ergebnis, dass die Brust der einen oder anderen Kapitänsgattin sich in ungewöhnlicher Weise hob, als litte sie unter Luftmangel.
«Die Ursache meiner Verzagtheit» – er wiederholte diese effektvollen Worte – «ist» – hier schlug er einen ausgesprochen prosaischen Ton an –, «dass ich über Pläne der französischen Behörden informiert bin, in Casablanca einen Hafen anzulegen. Und ihr wisst, was das bedeutet.»
Hier machte er wieder eine Pause und sah dabei eindringlich in die
Runde, als wollte er uns an etwas erinnern, das uns zwar bewusst war, das wir aber in diesem Augenblick möglicherweise vergessen oder verdrängt
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