Wir Ertrunkenen
hatten. Die eine oder andere Kapitänsgattin beantwortete seinen Blick mit einem strahlenden Augenaufschlag, als hätte sie eine Einladung erhalten, einige Kapitäne jedoch schlugen die Augen nieder, als würden sie nur allzu genau wissen, dass sie längst die Worte hätten aussprechen oder zumindest denken sollen, die nun bestimmt folgten.
Isaksen nahm seine Rede wieder auf, und seine Worte fielen nun wie Peitschenhiebe.
«Das bedeutet, dass die Schoner aus Marstal nie wieder eine Fracht für Casablanca erhalten werden. Der einzige Grund, warum die Dampfschiffe sich bisher von den wichtigsten Hafenstädten der nordafrikanischen Küste ferngehalten haben, war der Mangel an geeigneten Hafenanlagen. Nun werden die Dampfer kommen, mit größerer Ladekapazität und schnellerem Tempo. Ihre Ankunft kann auf den Glockenschlag vorhergesagt werden. Der Kompass zeigt den Kurs, und das Dampfschiff folgt ihm ohne Abweichungen oder Verspätungen.
Und ich rede nicht nur von Casablanca», sagte Isaksen.
Seine Stimme wurde lauter und lauter, eine Art Weltuntergangsstimmung lag in ihr.
«Es geht auch um die Frachten aus den französischen Kanalhäfen, die durch den Tidenhub bisher nur von Segelschiffen angelaufen werden konnten. Nun übernimmt die Eisenbahn. Und ich denke an den Rio Grande in Brasilien und die Maracaibo-Lagune in Venezuela. Das niedrige Wasser über den Sandbänken hat an beiden Orten nur euch passieren lassen. Aber für die Dampfer werden jetzt auch diese Hindernisse beseitigt.»
Bei jedem Hafen, den er erwähnte, durchzuckte es die Kapitäne und Steuermänner, als hätte er ihnen mit einer Faust gedroht, gegen die sie sich nicht zu wehren wussten.
«Das Meer ist euer Amerika gewesen. Aber jetzt schließt Amerika seine Grenzen. Für eure Dienste gibt es zunehmend weniger Bedarf. Die Frachten werden ganz einfach ins Blaue hinein verschwinden. Und das bedeutet, dass auch eure Schiffe ganz einfach ins Blaue hinein verschwinden werden. Ihr könnt sie ebenso gut verkaufen. Aber denkt nach. Wer würde sie kaufen? Es bleibt nur noch, sie abzuwracken, die
Leichenverbrennung einer ganzen Epoche, aufgegangen in Rauch, der sich schließlich auch ins Blaue verliert. Aber alle Hoffnung ist noch nicht dahin …»
Isaksens Stimme nahm einen zuversichtlichen Ton an, so wie ein Priester, der, nachdem er die Hölle beschrieben hat, den Himmel als Alternative für all diejenigen ausmalt, die bereuen.
«… noch immer gibt es Orte, die niemand sonst anfahren kann, Häfen, die sich nicht ausschachten lassen, wo es sich nicht lohnt oder wo Meeresströmungen, Felsenriffe und häufige Stürme sich verschworen haben, um für alle Zeiten den Zugang für Dampfer unmöglich zu machen. Neufundland …», das Zuversichtliche verschwand nun abrupt aus seiner Stimme, «… die ungastlichste Küste der Welt, das gefährlichste Fahrwasser auf Erden. Dort werden die Schoner aus Marstal auch weiterhin willkommen sein, um stinkenden Klippfisch zu laden. Die Häfen und Frachten, mit denen niemand sonst etwas zu tun haben will, die könnt ihr bekommen. Ihr werdet darauf angewiesen sein, von den Resten des Weltmarkts zu leben. Ihr werdet zu Parias der sieben Meere, Unratbeseitigern ähnlich. Ihr werdet die Übriggebliebenen sein.»
Wir dachten, er wolle uns ermutigen. Stattdessen endete er wie bei einer Grabrede. Es herrschte Totenstille rund um den Tisch. Ellen Boye starrte auf den Boden. Ihre Wangen brannten. Emma und Johanne schauten sie an, um Halt zu finden, doch Ellens verzerrte Gesichtszüge berührten sie so unangenehm, dass sie beinahe in Tränen ausbrachen.
Dann ergriff Isaksen wieder das Wort. Tatsächlich hatte er es nie abgegeben. Aber die Pause, die er um des Effekts willen eingeschoben hatte, klang wie ein Schlusspunkt. Was konnte nach diesem vernichtenden Urteil noch kommen?
«Marstal hat eine große Zukunft», sagte er, und wieder hoben wir aufmerksam die Köpfe, dieses Mal im Bewusstsein, dass wir nichts anderes als seine Marionetten waren und er statt der Schnüre lediglich seine kunstfertigen Worte geschickt einzusetzen verstand.
«Marstal steht eine große Zukunft bevor, weil die Stadt auf eine große Vergangenheit zurückblicken kann», erklärte Isaksen. «Es ist nicht immer so, dass das eine die Garantie für das andere ist. Tradition kann auch zur Last werden. Wir glauben, dass eine bestimmte Methode immer funktionieren wird, nur weil sie einmal funktioniert hat. So stecken
wir in der Vergangenheit fest und verpassen
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