Wir Ertrunkenen
unsere Schiffe versorgt, sondern auch fremde. Und eines Tages werden wir uns auch mit der Rohstoffbeschaffung befassen. Es ist notwendig, Kohlengruben zu besitzen und irgendwann in der Zukunft auch Ölfelder, denn das Motorschiff ist der sichere Nachfolger des Dampfschiffs. Auf diese Weise können wir für die Flotte Brennstofflieferungen zu stabilen Preisen sicherstellen.»
Wir sollten die halbe Welt nicht nur befahren, wir sollten sie anführen, und im Zentrum all dessen lag Marstal.
Das erzählte uns Isaksen.
Als er seine Rede schließlich beendete, hatten wir rote Wangen und waren erschöpft, verwirrt und guter Dinge – glückselig wie nach einer Karussellfahrt. Wir erhoben uns und klatschten Beifall, die Makler, die Kontorangestellten, die Kapitäne und Steuerleute und ihre erhitzten Frauen. Sogar Ellen, Emma und Johanne standen auf und applaudierten. Sie mussten sich nicht erst verstohlen ansehen, wie sie es gewöhnlich taten. Das Zögern, ihr Verteidigungswall gegen alle anstehenden Beschlüsse, war gebrochen. Zusammen mit uns anderen riss es sie von den Stühlen.
Es lag eine derartige Kraft in Isaksens Begeisterung, dass sie sich wie eine innere Schwerelosigkeit in uns ausbreitete. Hätte er nur lange genug geredet, wären wir aus den Fenstern des Hotel Ærø geschwebt.
Isaksen hatte auf den Kompass gesehen und den Kurs abgesteckt. Er hatte so eindrucksvoll über unsere Fähigkeit gesprochen, uns durch das Leben zu navigieren, auch wenn es besonders schwierig war, doch er hatte etwas Wesentliches über die Kunst, ein Schiff zu steuern, vergessen. Du hast nicht nur ein Auge auf den Kompass, du hast es auch auf das Rigg, du liest die Zeichen der Wolken, du behältst die Windrichtung im Blick, die Strömung und die Farbe des Meeres, du hältst Ausschau nach einer plötzlich auftauchenden Brandung, die vor einem Riff warnt. Vielleicht ist das nicht so bei einem Dampfschiff, aber so ist es auf einem Segelschiff, und in dieser Hinsicht ist ein Segelschiff dem Leben näher als ein Dampfer: Es reicht nicht zu wissen, wohin du willst, denn das Leben besteht wie der Kurs eines Segelschiffs fast nur aus Umwegen, für die mal Windstille und mal Sturm verantwortlich sind.
Wir können bis in alle Ewigkeit diskutieren, ob Klara Friis Schuld an Isaksens Fiasko hatte oder ob es an den Vanillekringeln lag, dass er versagte. In jedem Fall fehlte es ihm an Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht.
Er hatte geglaubt, dass eine von Ängsten gelähmte Frau, um erlöst zu werden, einen Mann braucht, der voller Initiative steckt. So sah er die drei Witwen und die Reederei, ja die gesamte Stadt – als wären sie eine Braut und er der Bräutigam. Er sollte uns von der Willensschwäche erlösen, an der wir litten. Doch in einigen Fällen kann ein Wirbelsturm aus Energie, wie Isaksen ihn verkörperte, auch den gegenteiligen Effekt haben. Dann verstärkt er die weiblichen Ängste nur.
Als ihre Ehemänner innerhalb von drei Wochen einen plötzlichen und sinnlosen Tod gestorben waren, hatte der Verstand der Seemannsfrauen fluchtartig das Haus der drei Witwen verlassen – und mit ihm verschwand das bisschen Mut und Ausdauer, das sie besessen hatten. Zur Hintertür trat nun die Bauersfrau ein, die im Rückenmark einer jeden Frau steckt, egal, wie lange es her ist, dass ihre Familie die Scholle verlassen hat – misstrauisch, sparsam, stets ihren Besitz zusammenhaltend, mit einer Schicksalsergebenheit, die sie zu einem Leben passiver Grübelei verurteilt.
Zunächst verstand Isaksen überhaupt nichts. Dachte er doch, er hätte den Witwen einen Eid abgenommen. Hatten sie denn nicht dagestanden und zusammen mit den übrigen Angestellten der Reederei geklatscht? Er hatte durchaus die Gerüchte über ihre mangelnde Entschlusskraft gehört. Die Kapitäne, mit denen er in Casablanca verhandelte, hatten ihm nicht verheimlicht, dass sie «schwierig» seien, «nicht leicht, mit ihnen umzugehen», aber sie hatten doch übereinstimmend erklärt, dass sie «bloß eine feste Hand benötigten» und er der richtige Mann dafür sei.
Er hatte die Witwen als die geringste all seiner Herausforderungen angesehen. Nun erwies sich, dass sie das größte Hindernis waren. Sie saßen bei ihren alten, harten Vanillekringeln, die sie in den Kaffee stippten und dann eine Ewigkeit im Mund zergehen ließen. Wie Biber prüften sie mit ihren Vorderzähnen die Härte der Vanillekringel; ja, genau so waren sie, Biber, die Dämme um seine hochfliegenden Pläne
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