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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Leben treten konnte, wenn er die Tür dazu selbst aufstieß.
     
    Der Kapitän der Activ, Hans Boutrop, kam aus der Søndergade. Er war ein rundlicher, jovialer Mann, dessen beträchtlicher Körperumfang unmöglich an dem bevorzugten Kochbuch der Marstaler Kapitäne liegen konnte, auf dessen Vorderseite mit großen Buchstaben das Wort «Sparsamkeit» gedruckt stand. Er brachte Knud Erik bei, Suppe zu kochen. Wie er selbst sagte, erinnerte das Rezept ein wenig an Specksuppe – nur mit dem wesentlichen Unterschied, dass in diese Suppe kein Speck kam. Die einzigen Geschmacksstoffe waren reichliche Mengen an Farin und Essig, die er zusammen mit einer kleineren Portion Zwiebackklöße ins heiße Wasser warf.
    Wenn sie in einem Hafen lagen, kam sonntags Schmorbraten auf den Tisch. Das Sonntagsgericht hatte seinen eigenen Topf, mit einem Holzdeckel, den das Alter hatte schwarz werden lassen. Für diese Mahlzeit
galt wie für alle anderen Fleischgerichte: Die Schmorzeit betrug unabänderlich drei Stunden.
    Selten gab es Nachtisch. Und wenn, dann handelte es sich um einen Pudding, der in den Kaffeetassen steif werden durfte und hinterher portionsweise serviert wurde. Dann lag er auf dem Teller und wackelte mit einer kleinen Kuppel, die direkt in eine Hand passte. Die Männer nannten ihn «Nonnenbrüste». Das faserige Konservenfleisch aus Argentinien hieß «Kabelgarn», gesalzenes Fleisch «Indianerarsch» und die Dauerwurst nannte man nie anders als «Landstraße nach Roskilde».
    Häufig wurde Knud Erik schlecht vom Essensdunst und der stickigen Luft; dann machte er die Kombüsentür auf und übergab sich an Deck. Bei schwerem Wetter wurde das Deck meist von Wellen überspült, so dass es niemanden gab, der die Essensreste bemerkte, die er gerade geopfert hatte. Wenn er nicht seekrank war, aß er mit großem Appetit sein eigenes Essen und wunderte sich immer wieder aufs Neue, dass er es selbst gekocht hatte.
    Das Mannschaftslogis im Bug war so klein, dass sich lediglich zwei Männer gleichzeitig dort aufhalten konnten, wenn sie sich anzogen. Unter den Bodendielen lag die Kohle für den Ofen in der Kombüse, und hinter der Leiter stand die Kartoffelkiste, die einen durchdringenden Gestank von gärender Scheiße verströmte, wenn ihr Inhalt zu faulen begann. Auch aus dem Kettenkasten, in dem die Ankerkette lag, kam ein merkwürdiger Geruch. Es war der Geruch von getrocknetem Schlick und altem Tang, der beim Lichten des Ankers hängen geblieben war und den ein Besen nicht hatte entfernen können.
    Nur aus der Tauwerkskoje drang ein angenehm kräftiger Duft nach braunem Teer.
    Ihre Notdurft verrichtete die Mannschaft auf einem abgesägten Bierfass. Der Rand bestand aus einem rohen Eisenring, der Schrammen in die Hinterbacken riss. Bei schwerem Wetter, wenn die See übers Deck ging, kam es vor, dass Knud Erik mit dem Fass umstürzte. Bei gutem Wetter kletterte er auf den Bugspriet und kackte in die Gischt. Es war beinahe so wie die Porzellanschüssel mit Wasserspülung daheim in der Prinsegade.
    Frischwasser gab es nur zum Trinken, also wusch man sich nicht. Das
Deck war sauberer als er. Einmal in der Woche musste Knud Erik zusammen mit dem Jungmann auf die Knie und das Deck mit Marstal-Soda scheuern: Mit einem Backstein schrubbten sie über eine Schicht aus nassem Sand.
     
    Vilhjelms Vater hatte ihm als Abschiedsgeschenk zwei Lederlappen mit einer Schnur darum überreicht.
    «Das ist für deine Hände», hatte er ohne irgendwelche weiteren Erklärungen in seiner gewohnt wortkargen Art gesagt.
    Erst als die Activ in Egersund Backsteine für Kopenhagen an Bord nahm, begriff Knud Erik, was Vilhjelms Vater sich bei seinem Geschenk gedacht hatte. Pinnerup zeigte es ihm. Er band Knud Erik die Lederlappen fest um die Hände und gab ihm zur Aufmunterung eine Ohrfeige.
    Ein bisschen Fürsorge steckt also doch in ihm, dachte sich Knud Erik.
    Die Backsteine wurden vom Kai aufs Schiff weitergegeben. Dann wanderten sie in einer Kette bis zum Steuermann im Laderaum, der sie weiter an die Stauer reichte. Von Hand zu Hand flogen sie durch die Luft, aber nicht jeweils einer, sondern als Bündel zu je vier Steinen. Ein Bündel wog ungefähr zehn bis fünfzehn Kilo und warf Knud Erik beinahe um, wenn es in seinen ausgestreckten Händen landete. Wären die Lederlappen nicht gewesen, hätte er sich hinterher die Haut abziehen können.
    In der Fürsorge des Steuermanns lag also durchaus Eigennutz. Einen Koch mit kaputten Händen konnte er nicht

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