Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
Vom Netzwerk:
kräftiger schlagen ließ.
     
    Bager übernahm das Ruder, und sie passierten «das schwarze Loch». Dahinter öffnete sich St. John’s schmale Hafeneinfahrt, voll von Fischerbooten, Schonern und kleinen Dampfschiffen. Holzhäuser zogen sich die Felsen hinauf. Entlang des Hafens standen die Häuser in dichten Reihen, die Giebel in Richtung Hafen ausgerichtet, dazwischen Speicher und Schiffsausrüster. Die Kais wimmelten von Menschen und Pferdewagen. Der Straßenlärm mischte sich mit dem Schreien der Möwen, und es stank penetrant nach Fisch und Tran.
    St. John’s war keine Großstadt, das sah er sofort. Kopenhagen war größer, doch die Kais am Frederiksholms-Kanal waren öde, verglichen mit dem Leben, das sich hier vor seinen Augen entfaltete. Er hatte sich St. John’s als eine etwas größere Ausgabe von Little Bay vorgestellt. Irgendwo hinter der Stadt besäße Mr. Smith ein ähnliches Haus wie in Little Bay, und Knud Erik würde hinaufspazieren, an die Tür klopfen und Miss Sophie wiederbegegnen.
    Nun verlor er den Mut. Hier würde er sie nie finden. Hier gab es bestimmt nicht nur einen Mr. Smith, sondern Hunderte, und – der Gedanke lähmte ihn geradezu – vielleicht nicht nur eine Miss Sophie, sondern Hunderte.

    Im Mannschaftslogis heizten sie den Ofen. Dann trockneten sie ihre Sachen und wuschen sich prustend mit heißem Wasser aus einem Eimer, bevor sie saubere Kleidung aus den Seesäcken holten. Eine Weile hockten sie um den Tisch des Logis und sahen aus, als säßen sie dort zur Zierde. Einer nach dem anderen begann erschöpft vor sich hin zu nicken.
    «Verflucht, ich fühl mich wie ein entbeintes Hähnchen. Nicht ein Knochen mehr im Körper», meinte Rikard.
     
    Am nächsten Morgen teilte der Kapitän mit, dass sie an diesem Abend Landurlaub hätten. Gemeinsam gingen sie in die Stadt, sogar Helmer durfte mit. Der Sturm war seine Taufe gewesen. Mit seinen pünktlichen Kaffeelieferungen hatte er sich Eintritt in die Gruppe verschafft. Sie nahmen Kurs auf die Water Street direkt hinter der Hafenzeile.
    Dreymann blinzelte Knud Erik zu.
    «Dort triffst du Miss Sophie bestimmt.»
    Sie betraten ein Wirtshaus und bestellten Bier. Das Lokal war voller Frauen, eine von ihnen kam an ihren Tisch. Sie hatte sich geschminkt und lachte mit einem großen roten Mund.
    Algot legte einen Arm um ihren gewaltigen Leib.
    «Nimm sie stattdessen», sagte er zu Knud Erik, «da bekommst du mehr für dein Geld als bei der mageren Miss Sophie. Ist es nicht so, Sally oder wie, zum Teufel, du auch heißen magst.»
    « Julia», sagte die Frau, «my name is Julia.»
    Sie war skandinavische Seeleute gewohnt und verstand ein wenig von dem, was gesagt wurde.
    Aufreizend lehnte sie sich an Knud Erik, dem ein Duft nach Schweiß und Parfüm in die Nase stieg. So nah kam sie ihm, dass er die Risse in dem mehlartigen Puder auf ihrem Gesicht sehen konnte, die die Falten darunter verrieten. Sie warf ihm einen Kussmund zu, und er wandte sich instinktiv ab. Dann packte sie ihn im Nacken und versuchte, sein Gesicht an ihren halbnackten Busen zu ziehen.
    «Such a pretty boy shouldn’t sleep alone.»
    Er riss sich los und kehrte ihr den Rücken zu. Die anderen lachten dröhnend. Um seine Verlegenheit zu verbergen, nahm Knud Erik einen Schluck aus der Bierflasche. Doch das Bier schmeckte bitter und zog ihm den Mund zusammen. Gut, dass er mit dem Rücken zu ihnen saß
und niemand sein verzerrtes Gesicht sah. In der Hoffnung, dass es ihm diesmal besser schmecken würde, nahm er noch einen Schluck. Doch es war wie zuvor. Musste er so etwas wirklich trinken?
    Er drehte sich zu seinen Kameraden um. Mit einer Flasche am Mund saß die Frau nun auf Algots Schoß. Die anderen waren in irgendeinen Disput vertieft.
    «Warte bis Setubal, das hier ist nichts», entgegnete Rikard.
    «Setubal!», höhnte Algot. «Nein, du, Martinique. Da tanzen sie nackt auf den Tischen.»
    «Ja, und stecken dich mit Syphilis an», versetzte Rikard. «Wir hatten da einen Bootsmann. Eine Nacht mit einem dieser Weiber, und drei Monate später war er an Syphilis gestorben. Der Teufel soll mich holen, das war die teuer bezahlteste Fotze der Welt. Also, deine Negerweiber kannst du für dich behalten.»
    «Redet ihr nur, Jungs», sagte Dreymann nachsichtig. «In England sollen wir die Tochter des Skippers abholen. Und wenn Fräulein Kristina erst mal an Bord ist, dann müsst ihr euch ein bisschen zurückhalten, wenn ihr den Mund aufmacht.»
    Knud Erik sah zu Helmer, der mit seiner

Weitere Kostenlose Bücher