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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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schiefgegangen. Dreymann hatte ein Telegramm erhalten, dass seine Frau ernsthaft erkrankt sei und möglicherweise nicht mehr lange zu leben habe.
    «Es ist nicht meine Art, mich zur Unzeit davonzumachen», erklärte er. «Aber ich habe vier Kinder. Drei von ihnen wurden ohne mich getauft, zwei wurden konfirmiert, und eine hat geheiratet, ohne dass ich dabei war. Ich halte den Gedanken einfach nicht aus, dass Gertrud die Holzschuhe in die Ecke stellt, ohne dass ich da bin, um ihre Hand zu halten.»
    Rikard und Algot musterten ebenfalls ab und hielten mit dem Grund nicht hinterm Berg. Sie hatten genug von Schiffen aus Marstal, die nichts anderes taten, als von einem Sturm in den nächsten zu segeln; und wenn sie Leichenbestatter hätten werden wollen, wären sie bei einem Beerdigungsinstitut in die Lehre gegangen.
    Sie überließen die Kristina gern ihrem Schicksal – viel Glück für die Reise.
    Sie griffen sich die Segelsäcke und halbleeren Seesäcke und steckten sich die Pfeife mit der Zigarette in den Mund.
    Bager bot Knud Erik an, als Leichtmatrose mitzufahren. Eigentlich hatte er noch nicht genügend Zeit auf See verbracht, aber er beherrschte den größten Teil der Arbeiten, und das Flicken der Segel, das zu den Pflichten eines Matrosen gehörte, würde er auch noch lernen. Allerdings sollte er nicht damit rechnen, eine höhere Heuer zu bekommen.
    «Und was ist mit mir?», fragte Vilhjelm.
    Er und Knud Erik hatten verabredet, dass sie sich nicht wieder trennen würden.
    Bager dachte lange nach.
    «Du bekommst Verpflegung», sagte er schließlich.
     
    Es fehlte ein Steuermann. Niemand war aufzutreiben, als zufällig Herman, der mit dem Kapitän der Uranus aneinandergeraten war, in Newcastle
abmusterte. Er verfügte über Erfahrung, er hatte reichlich Zeit auf See verbracht, doch ihm fehlte das Patent. Er hatte sich nie zusammenreißen können, um auf die Navigationsschule zu gehen. Bager bot ihm den Job an.
    Herman verlangte die gleiche Heuer wie ein Steuermann. Bager rechnete es im Kopf nach. Er hatte bereits die Heuer für zwei Matrosen gespart. Es gab noch Spielraum.
    «Deine Papiere sind nicht in Ordnung», sagte er. «Eigentlich erweise ich dir doch einen Gefallen. Aber ich lege fünfundzwanzig Kronen auf deine übliche Heuer als Matrose.»
    «Vierzig Kronen», sagte Herman.
    Sie einigten sich bei fünfunddreißig Kronen.
    In Wahrheit waren Bagers Papiere nicht in Ordnung. Darauf machte ihn Mr. Mattheson vom Heuerbüro in der Waterloo Street aufmerksam. Nun ja, sie waren bereit, bei Herman eine Ausnahme zu machen. Schließlich hatten sie der Kristina keinen Steuermann beschaffen können, und nun wollten sie einem Mann nicht im Weg stehen, der nur seine Arbeit machen wollte. Aber es ging nicht, dass Bager zwei Jungen an Bord hatte, die er als Matrosen ausgab. Mindestens einen ordentlichen Matrosen musste er noch anheuern, sonst würde Bericht erstattet werden.
    So kam Ivar an Bord.
     
    Die Kristina hatte kaum in Newcastle abgelegt, als es zum ersten Zusammenstoß kam.
    Knud Erik und Vilhjelm war Ivar sofort sympathisch gewesen. Er war in seiner Landgangskleidung an Bord gekommen, mit französischen Manschettenknöpfen, weißem Kragen, einem in Buenos Aires gekauften Seidenschlips und einem maßgeschneiderten zweireihigen Anzug aus Cheviotwolle. Ivar war ein Mann von Welt.
    Er musste nicht einmal von all den Orten berichten, an denen er gewesen war, von Südamerika bis Schanghai. Man sah es ihm an. Ivar hatte seine Erfahrungen auf Dampfschiffen gemacht, auf einen Segler kam er nur aus Neugierde. Er war der Sohn eines Kapitäns aus Hellerup, hatte sich aber noch nicht entschieden, ob die See überhaupt für ihn in Frage kam. Ivar war groß und kräftig gebaut, hatte dichtes blauschwarzes Haar, und präsentierte sich mit einem Selbstbewusstsein, das davon
zeugte, dass er mehr als einmal als Sieger aus einer Schlägerei hervorgegangen sein musste.
    Ivar hatte ein Händchen für Technik. Er brachte einen selbstgebauten Radioapparat mit. Er konnte ihn zerlegen und wieder zusammensetzen, ganz wie er wollte. Wenn sie im Hafen lagen, stellte er ihn auf die Luke und hängte die Antenne ins Rigg.
    «Der funktioniert doch nie», meinte Herman, als Ivar den Apparat das erste Mal aufstellte. Dumm, wie er war. Denn selbstverständlich funktionierte er. Sie hatten die Bruchstücke fremder Stimmen von anderen Orten der Welt empfangen und Tanzmusik, die man sonst nur in den Varietés der französischen Kanalhäfen

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