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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Druck aus der Tür trieb.
    So taumelte er an Deck. Es hatte aufgefrischt, und die Segel waren gebläht. Herman blieb einen Augenblick stehen und blickte über das Meer.
Schaumkronen leuchteten in der Dunkelheit. Er hörte lediglich das Geheul des Windes in der Takelage und die dumpfen Schläge der Sturzseen, die über das Deck schwappten. Er ging Vilhjelm am Ruder ablösen und beschloss, die Segel stehen zu lassen, obwohl er wusste, dass dieser Törn riskant war. Ein schwerer Regen schlug ihm ins Gesicht.
    Er war kein Mann, der seine Chancen abwog. Er war völlig frei von jeglichen Gedanken und hieß diese Leere willkommen, so wie er es zuvor mit dem Schlaf gemacht hatte.
     
    Als Herman sie beim nächsten Wachwechsel aufforderte, ihn am Ruder abzulösen, weigerten sie sich.
    «Wollt ihr gern untergehen?», fragte er sie.
    Sie antworteten nicht. Sie standen nur da und zückten ihre lächerlichen Konfirmationsgeschenke, die sie für gefährliche Mordwaffen hielten. Der Wind hatte abgeflaut, das Schiff lag jetzt ruhiger in der See. Herman zurrte das Ruder fest und ging zur Kapitänskajüte. Sie waren ihm zuvorgekommen und stellten sich vor die Tür, noch immer mit den Messern in der Hand. Fräulein Kristina musste ihnen alles erzählt haben. Nun hielten sie sich für ihre Beschützer. Er hatte ihren Sinn für Gerechtigkeit gekränkt, und das war das Schlimmste, denn der Sinn für Gerechtigkeit ließ die Leute aggressiv und wahnsinnig werden. Er gab ihnen Mut und raubte ihnen die Vorsicht, ja sogar den Überlebensinstinkt.
    «Wenn du näher kommst, bringen wir dich um», drohte Knud Erik mit bebender Stimme.
    Helmer schluchzte laut auf, aber er hielt das Messer fest. Sie waren blind vor Angst, und in ihrer Blindheit fanden sie nur einen Halt im Löwenmesser in ihren Händen. Herman zweifelte nicht daran, dass sie damit zustechen würden – es war das einzige Heilmittel gegen die Angst, die er in ihnen weckte. Sie waren unberechenbar und deshalb eine Gefahr.
    Er begriff, dass seine vagen Pläne, worauf sie auch immer hinausgelaufen wären, sich nicht erfüllen würden. Fräulein Kristina hatte er verloren. Er war allein mit drei Jungen, die in ihrer Panik auf alle möglichen Gedanken kommen konnten und für die es einerlei war, ob sie am Leben blieben oder starben. Er konnte jedem Einzelnen die Wirbelsäule brechen. Aber was würde das bringen?

    Ekel überkam ihn. Es war an der Zeit, das zu tun, was er in derartigen Situationen immer tat, wenn es keinen Ausweg mehr gab: der Welt zeigen, dass es ihm egal war; sich all dem entziehen. Sein Leben war wie die unbeständigen Wellen des Meeres, die sich gleichzeitig aufbauen und wieder einstürzen.
    Er ging zurück ans Ruder. Von nun an war es eine Frage des Durchhaltevermögens. Er würde keinen Schlaf mehr bekommen. Ostwärts erstreckte sich die französische Atlantikküste mit einer Brandung, die bei schwerem Wetter für einen Schoner den Untergang bedeuten konnte, vor allem, wenn er ohne seekundige Offiziere segelte.
    Im Lauf des Tages änderte er den Kurs.

DIE HEIMKEHR
    M onsieur Clubin, der Lotse von Royan, bemerkte als Erster, dass der Bramsegelschoner, der vor dem Pointe de Grave durch das Meer stampfte, sich in Seenot befand. Zunächst war er unsicher, ob sich überhaupt jemand an Bord aufhielt, aber nachdem er das Schiff einige Minuten durch sein Fernglas beobachtet hatte, war ihm klar, dass irgendein Verzweifelter darum kämpfte, das Schiff von dem gefährlichen Strand fernzuhalten. Es hatte kein Notrufsignal gegeben, aber mit dem Pflichteifer, der ihn seit dreißig Jahren als Lotsen in Royan auszeichnete, ließ sich Monsieur Clubin trotzdem zu dem Schiff hinausbringen.
    An Bord der Kristina aus Marstal fand er drei Jungen und eine junge Frau, die alle einen verstörten Eindruck auf ihn machten. Während ihres gesamten Aufenthalts in Royan sollte die Frau nicht ein Wort sagen. Im Mannschaftslogis lag der Kapitän tot in einer Koje. Von Matrosen oder dem Steuermann keine Spur. Das Rettungsboot fehlte.
    Die Erklärung der Jungen, die den Hafenbehörden und später der Polizei in Royan vorgelegt wurde, lautete, der Steuermann habe zuerst einen Matrosen und den Kapitän ermordet und danach die Tochter des Kapitäns überfallen. Was sie genau mit dem Begriff «Überfall» meinten, konnten oder wollten die Jungen nicht darlegen, und die junge Frau weigerte sich, den Mund aufzumachen.
    Die Jungen behaupteten darüber hinaus, dass der Steuermann in seiner Heimatstadt, aus

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