Wir Ertrunkenen
zählte.
«Die Mannschaft ist nicht abgehauen», sagte er. «Sie ist tot.»
«Einhundertundvierzehn», sagte Helge.
«Der einzige Käse, den sie auf diesem Schiff bekommen haben, muss Schweizerkäse gewesen sein.»
«Ich hätte gern gesehen, wie sie Kaffee gekocht haben», sagte Helge, der es aufgegeben hatte weiterzuzählen.
«Ich hätte lieber gesehen, wie sie ihn getrunken haben.»
Sie lachten und gingen die Gangway hinauf. Sie hatten Schiffe gesehen,
bei denen das halbe Schanzkleid abgerissen und die Aufbauten weggeschossen waren; Schiffe, die große Löcher in der Seite aufwiesen und sich dennoch über Wasser hielten. Aber noch nie hatten sie so etwas gesehen. Die Nimbus hatte nicht nur einen Volltreffer abbekommen, sondern tausend. Der Dampfer war gleichermaßen intakt wie vollständig zerstört. Die Messerschmitts mussten eine Angriffswelle nach der anderen auf das Schiff geflogen sein. Die Bomben und Torpedos hatten ihr Ziel nicht gefunden, denn sonst läge die Nimbus am Grund des Meeres – aber die Maschinengewehre hatten es getan. Der Anblick besaß etwas Ehrfurchteinflößendes. Die durchlöcherten Aufbauten des Schiffs strahlten eine Form von Trotz aus, die beinahe menschlich zu nennen war.
Sie gingen in die Messe. Auf dem Herd stand eine Kaffeekanne aus blauem Email. Sie war trotz all ihrer Prophezeiungen heil geblieben.
«Teufel auch», meinte Helge.
Sie fanden englischen Kaffee-Ersatz aus Eicheln in einem Schrank und setzten sich an den Tisch, während sie darauf warteten, dass das Wasser kochte.
«Wir nehmen dieses Schiff», sagte Knud Erik.
Helge goss das kochende Wasser auf und sah ihn fragend an.
«Das Schiff hat Glück gehabt.»
«Du meinst, die Kaffeekanne hier hat Glück gehabt. Es ist wahrscheinlich das einzige Ding an Bord, das keine Löcher an den falschen Stellen hat.»
Knud Erik schüttelte den Kopf.
«Nein, es ist das Schiff. Das Schiff hat Glück gehabt. Hast du jemals so viele Treffer auf einem Haufen gesehen? Aber die Nimbus ist noch da. Sie schwimmt noch immer. Und sie will ihr Glück mit uns teilen.»
Sie wussten beide, dass es abergläubisches Gerede war. Auf dem Schlachtfeld – und das Meer war ein Schlachtfeld – gab es keine Regeln, wer verschont blieb und wer auf Grund ging. Dort herrschte der unergründliche Zufall. Also konnten sie sich ebenso gut auf das Glück verlassen. Auf der Dannevang hatten sie ein Lewis-Maschinengewehr. Das Glück war ein effektiverer Schutz.
Sie gingen zu Nielsen und bestätigten die Übernahme des Schiffs. Der Konsul wirkte erleichtert.
«Wir stellen Bedingungen», erklärte Knud Erik. «Diesen Durchzug
brauchen wir auf dem Atlantik nicht, also möchten wir, dass sämtliche Löcher repariert werden. Außerdem wollen wir ordentliches Handwerkszeug an Bord, damit wir uns verteidigen können. Und wir kümmern uns selbst um die Anmusterungen. Wir bestimmen, mit wem wir fahren.»
Während die Nimbus in der Werft war, richteten sich Knud Erik und Helge in einer Ecke des Seemannsklubs ein, nicht weit vom Billardtisch. Auf die Schiefertafel schrieben sie eine Liste der Männer, die sie brauchten. Nun warteten sie.
Nach einigen Tagen hatten sie den ersten Steuermann, einen Schiffsjungen, einen Donkeymann und ein paar Matrosen. Ihnen fehlten noch immer ein zweiter Steuermann, ein Zahlmeister und ein erster Maschinist. Auch bei den Matrosen und Leichtmatrosen waren sie noch nicht vollzählig. Die Besatzung bestand aus zweiundzwanzig Mann.
Knud Erik hatte nicht damit gerechnet, so früh in seinem Leben Kapitän zu werden. Es war nicht so, dass er an seinen Fähigkeiten zweifelte. Er wusste nur nicht, ob er die notwendige Autorität besaß. Konnte er einen Mann gut genug beurteilen, um seine Stärken zu nutzen und ihn seine Schwächen vergessen zu lassen? Und was war mit zweiundzwanzig Mann auf einmal?
Am vierten Tag trat Vilhjelm durch die Tür und bat, als zweiter Steuermann angemustert zu werden. Es war zwei Jahre her, dass Knud Erik und er sich das letzte Mal in Marstal gesehen hatten. Vilhjelm besaß jetzt eine Familie. Zusammen mit der Tochter eines Fischers aus der Brøndstræde, die so alt war wie er, hatte er einen Jungen und ein Mädchen. Er hatte nie wieder angefangen zu stottern. Wenn er in Marstal war, ging er jeden Sonntag in die Kirche. Das «Andachtsbuch für Seeleute» lag zu Hause. Vilhjelm brauchte es nicht, er konnte es noch immer auswendig.
«Wie geht’s deinem Vater?», erkundigte sich Knud Erik.
Vilhjelms
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