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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Vater hatte seit Langem mit der schweren Arbeit als Sandgräber aufgehört und sich stattdessen auf die Fischerei verlegt, obwohl er eigentlich auch dafür zu alt war. Aber er machte weiter, eingesperrt in seine taube Welt.
    «Er hat drüben bei Ristinge gefischt, als die Deutschen kamen. Den
Lärm der Flugzeuge konnte er ja nicht hören. Er schaute auf, weil ein Schatten nach dem anderen über das Wasser glitt, für Wolken viel zu schnell. Ansonsten hat er nicht weiter darüber nachgedacht. Er war wohl zu sehr mit der Zahl der Krebse in seiner Reuse beschäftigt. Das ist der Krieg für ihn.»
    Als Nächster tauchte Anton auf. Er wurde sofort zum ersten Maschinisten ernannt und wollte alles über die Maschine erfahren.
    «Ich weiß nicht recht», sagte er und fummelte an seiner schwarzen Hornbrille herum, als er hörte, dass die Nimbus nur über achthundert PS verfügte. «Ist ja nicht sonderlich viel top steam in dem Kahn.»
    Er erkundigte sich, welche Kohle verwendet würde.
    «Es muss Kohle aus Wales sein», sagte er. «Die Newcastle-Kohle rußt einfach zu sehr.»
    «Du kannst die Kohle haben, die du willst.»
    Das war eine Antwort ins Blaue. Knud Erik wusste nichts über Kohle und hatte keine Ahnung, woher er sie beschaffen sollte.
    Anton saß einen Moment da und grübelte missmutig vor sich hin. Knud Erik rechnete damit, dass er aufstehen und gehen würde. Einst waren sie Freunde gewesen, und eigentlich waren sie es noch immer, obwohl sie sich oft genug an den gegensätzlichsten Ecken der Welt aufgehalten hatten. Aber Anton war nicht sentimental, sondern professionell und wollte sein Talent für Mechanik an etwas Sinnvollem einsetzen. Daher überraschte er Knud Erik auch mit seiner Antwort.
    «Egal, scheiß drauf», sagte er. «Wir Marstaler müssen zusammenhalten. Ich schlage ein. Ich werd ihn schon zum Laufen bringen.»
    Ein schwarzer Mann kam an den Ecktisch und wollte als Matrose anmustern. Unter einem offen stehendem Hemd trug er ein weißes Unterhemd, das die Farbe seiner matt schimmernden Haut betonte. Sie hielten ihn für einen Amerikaner.
    «Ich soll übrigens von Fritz grüßen», sagte er auf Dänisch.
    Knud Erik sah ihn verblüfft an. Er hatte völlig überhört, dass der Mann ihn in seiner Muttersprache angeredet hatte.
    «Ist Fritz nicht in Dakar?»
    «Doch», anwortete der Mann, «jedenfalls war er da, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.»
    Er streckte die Hand aus.

    «Ich stelle mich wohl besser mal vor. Absalon Andersen aus Stubbekøbing. Ja, ich weiß, ich bin ein Neger. Schwarzer Sambo und all das. Aber ich bin in Stubbekøbing aufgewachsen, und wenn ihr mich nicht fragt, wo ich Dänisch gelernt habe, dann frag ich euch auch nicht.»
    Er lächelte sie an, als wäre die Vorstellung damit beendet und sie könnten nun zu Wesentlicherem übergehen.
    «Ich war zusammen mit Fritz in Dakar», sagte er. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Knud Erik bot ihm eine Zigarette an. «Ja, den Teil der Geschichte kennt ihr sicher?»
    Knud Erik nickte. Dakar in Französisch-Westafrika – der Albtraum aller Seeleute. Gegen die Stadt selbst war nichts einzuwenden. Aber als Frankreich in die Hände der Deutschen fiel, verkündete der Gouverneur von Dakar zunächst, aufseiten der Alliierten zu stehen. Ein paar Tage später hatte er es sich anders überlegt und die zahlreichen Schiffe, die in den Hafen eingelaufen waren, um sich den Alliierten anzuschließen, wurden festgehalten. Man verurteilte die opferbereiten Seeleute zu monatelangem nutzlosem Müßiggang auf den brennend heißen Decks. Wichtige Maschinenteile wurden konfisziert, so dass sie nicht versuchen konnten zu fliehen. Die Engländer bombardierten den Hafen, und plötzlich befanden sich die Seeleute auf der falschen Seite. Es war eine schreckliche Situation. Ein norwegisches Schiff entkam. Die Besatzung hatte behauptet, dass die Maschine des Schiffs rosten würde, wenn sie nicht hin und wieder liefe. Die dummen Franzosen lieferten ihnen die fehlenden Maschinenteile, von der Besatzung bekamen sie Attrappen zurück. Mitten in der Nacht machten sie sich dann auf und davon. Der Rest – darunter sechs dänische Schiffe – lag noch immer im Hafen und moderte vor sich hin. Der Krieg rief sie, und sie konnten nicht kommen. Sie mussten sich vollkommen nutzlos und überflüssig fühlen.
    «Du bist kein Norweger», meinte Knud Erik, «wie bist du entkommen?»
    «Ich bin was Besseres als ein Norweger», entgegnete Absalon Andersen und grinste

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