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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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überall und bemerkt, dass Knud Erik keinen Ehering trug. Knud Erik beugte sich vor.

     
    «Hör mal», sagte er, «ich bin nicht dein buddy. An Bord der Nimbus bin ich der Kapitän, und wenn du auf meinem Schiff fahren willst, dann gewöhn dir einen anderen Ton an. Bist du dabei?»
    Valdemar knallte die Hacken zusammen und salutierte.
    « Aye, aye, captain», antwortete er.
    Er hatte die Kneipe bereits halb durchquert, als er sich umdrehte und wieder zurück zu Helge ging.
    « Listen. Wenn du ein Problem mit Valdemar hast, nenn mich einfach Wally.»

    Sie fuhren im Konvoi, erst von Liverpool nach Halifax und zurück, dann über Gibraltar nach New York. Westwärts hatten sie Ballast aufgenommen, zurück brachten sie Bauholz, Stahl und Eisenerz. Vier Zwanzig-Millimeter-Geschütze waren installiert worden: eines am Bug, eines achtern, und die übrigen beiden saßen auf der Brückennock und zielten von dort aus bedrohlich über das Meer. Die Mannschaft musste sie nicht bedienen, dafür waren vier britische gunner an Bord.
    Die Nimbus war nicht für den Nordatlantik gebaut. Wofür das Schiff überhaupt gebaut worden war, fanden sie nicht heraus. Anton tat im Maschinenraum, was er konnte, aber es gelang ihm nie, das Schiff über neun Knoten zu bringen. Wenn sie im Konvoi fuhren und es kam eine U-Boot-Warnung, hatten sie Befehl, einen Zickzackkurs zu steuern, um den Torpedos auszuweichen.
    Die vierzig Schiffe des Konvois verließen Liverpool in einer geraden Linie, gruppierten sich dann aber zu einem Viereck mit mehreren Reihen von Schiffen nebeneinander, und es war schwierig, die Position zu halten. Die Nimbus war nicht manövrierfähig genug und fiel immer wieder zurück.
    Kapitän Boye hatte irgendwann einmal zu Knud Erik gesagt, dass der Kapitän in einer Katastrophensituation – wenn das Schiff drohe, vernichtet zu werden – nicht über Vorschriften und Paragraphen nachzudenken habe. Auch solle er keine Rücksicht darauf nehmen, ob das Schiff versichert sei oder nicht. Er müsse nach einem einzigen ungeschriebenen
Gesetz handeln: Verhalte dich gegenüber anderen so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest!
    Boyes Worte fassten Knud Eriks gesamte Erfahrung als Seemann zusammen. Später erfuhr er, dass Boye ertrunken war, weil er seine Schwimmweste einem Heizer gab, der in Panik seine eigene Weste im Maschinenraum vergessen hatte. Mehr als einmal hatte er erlebt, wie ein Kapitän sein Schiff aufs Spiel setzte, um einer in Not geratenen Besatzung zu helfen. Er hatte einfache Seeleute gesehen, die das Gleiche füreinander taten.
    Ein Seemann war weder besser noch schlechter als andere Menschen. Es war die Situation, die ihn zur Loyalität zwang. Die begrenzte Welt des Schiffsdecks ließ ihre gegenseitige Abhängigkeit so deutlich werden, dass der individuelle Überlebensinstinkt betäubt wurde. Sie wussten, dass sie es ohneeinander nicht schaffen würden.
    In seiner Naivität glaubte Knud Erik, dass der Krieg die ganze Welt in ein Schiffsdeck verwandeln würde und der Feind, den sie zusammen bekämpften, in all seiner ungehemmten, brutalen Kraft dem Meer ähnlich war. Er wusste nicht, dass der Krieg ihn zwingen würde, mit diesem einfachen Loyalitätsgefühl zu brechen, das sein ganzes Leben als Seemann bestimmt hatte und zum Fundament seines Wesens geworden war. Er fuhr mit Ballast über den Nordatlantik und kam mit Holz und Stahl zurück. Er tat es mit einer bewaffneten Eskorte und setzte sein Leben aufs Spiel. Er war in den Krieg gezogen, weil er an Deck gelernt hatte, dass kein Mensch sich vom Schicksal der anderen abwenden konnte.
    Und doch sollte der Krieg ihn zu einem Menschen werden lassen, der etwas einbüßte.
    Doch das begriff er erst, als es zu spät war.
     
    Es sollte eine Zeit kommen, in der Knud Erik das Gefühl hatte, sein Leben hinge von den roten Lichtern ab.
    Nicht von den Torpedos, die dieses Leben beenden konnten.
    Die roten Lichter würden Schlimmeres anrichten.
     
    Es gab Regeln im Konvoi. Vor dem Ablegen fand stets eine Zusammenkunft an Land statt, und der Befehl des Konvoikommandanten war jedes Mal identisch. Fahrt und Kurs mussten gehalten werden. Jedes Schiff
hatte seine Position, die es nicht verlassen durfte. Es gab noch eine Regel, und mit der Zeit wuchs sie in ihnen wie eine Geschwulst. In Seenot geratenen Schiffen durften sie nicht zur Hilfe kommen und die Überlebenden nicht aufnehmen. Lagen sie auch nur einen Moment still, wurden sie zum Ziel der angreifenden U-Boote und

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