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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Frage, wer am meisten vertragen konnte», sagte Old Funny, «das war eine Kraftprobe zwischen Glaube und Wissenschaft. Er hatte seinen Jesus, ich meine Methode. Aber trotzdem hat er gewonnen. Um vier Uhr morgens fiel ich unter den Tisch. Ich begreif nicht, wie’s zuging.»
    «Also bist du jetzt gläubig?»
    «Ich bin ein Mann, der sein Wort hält», antwortete Old Funny, «ich glaube an den Herrn Jesus Christus, und ich schwöre dem Teufel und all seinen Wesen ab. Unser Herr beschützt mich. Es liegt an ihm, dass ich noch immer meinen Wichsgriffel habe.»
    Er stellte das Glas auf den Tisch und schlug das Kreuzzeichen. Der linke Armstumpf wackelte, als wollte er an dem Spaß teilhaben.
    «Aber du trinkst noch immer», wandte Wally ein.
    «Nur wenn ich zum Altar gehe, und ich bin ein fleißiger Kirchgänger.
Außerdem finde ich, dass ich es dem Mann von der Heilsarmee schuldig bin. Seht ihr…»
    Er sah sich um, und sie konnten sich denken, dass die Geschichte noch nicht zu Ende war.
    «Als er mich unter den Tisch getrunken hatte und begriff, dass er gewonnen hatte, stand er auf und schmiss seine Jacke auf den Boden. ‹Ich bin fertig mit der Heilsarmee!›, brüllte er. Niemand verstand, was er meinte. Aber dann erklärte er es uns. ‹Als ich mein erstes Glas leerte, wurde es mir klar: Ich trinke gern. Ich habe nicht gewonnen, weil mir der Herr beistand. Ich habe gewonnen, weil ich nicht genug kriegen kann!›»
    Um den Tisch in der Messe brüllten sie vor Lachen. Old Funny genoss den Beifall, während er die durchsichtige Flüssigkeit in seinem Glas betrachtete. Dann führte er es zum Mund und leerte es in einem Zug.
    «Prost auf Jesus!», sagte er und rülpste.

    Aus Archangelsk und Murmansk schlossen sich Schiffe der Nimbus an, so dass insgesamt acht Frachtschiffe Kurs auf Island nahmen. Sie wurden begleitet von einem Zerstörer und zwei umgebauten und mit Wasserbomben bestückten Trawlern. Es war kein großer Schutz, aber abgesehen vom Ballast liefen sie leer zurück. Die britische Admiralität vermutete wohl, dass die Deutschen kein Pulver an Schiffe vergeudeten, die kein Kriegsmaterial an Bord hatten. Die Deutschen waren allerdings anderer Ansicht, wie sie bald erfahren sollten.
    Es war bereits Oktober, und der Rand des Packeises hatte sich nach Süden verlagert. Sie fuhren so dicht wie möglich heran, doch für die deutschen Bomber, die auf den Luftstützpunkten in Nordnorwegen starteten, war dies keine Entfernung. Die Herbststürme wurden zu einer unerwarteten Hilfe. Den größten Teil der Zeit hatten sie schweres Wetter, und bei heftigen Windböen und Sturm blieben die Flugzeuge am Boden. Den U-Booten war ein Sturm über der Barentsee egal.
    Wally stand am Bug und hielt Ausschau. Im Lauf einer Stunde gelang es ihm, dreimal falschen Torpedoalarm auszulösen.

    «Es sind die Schaumstreifen auf den Wellen», entschuldigte er sich.
    «Es sind die Nerven», meinte Anton, der aus dem Maschinenraum auf die Brücke gekommen war, um sich darüber zu beschweren, dass so häufig ohne Anlass back oder full stop signalisiert wurde.
    Knud Erik stand eine Weile da und überlegte.
    «Besser, ich finde einen anderen», sagte er.
    «Ich werde verrückt, wenn ich da oben allein stehe und mit niemandem reden kann», meinte Wally und warf ihm einen dankbaren Blick zu.
    Knud Erik ging in die Messe. Herman saß wie gewöhnlich am Tisch und sorgte für die Unterhaltung. Er hatte lediglich Duncan und Helge als Zuhörer, die das Abendessen vorbereiteten. Helge hatte sich an Herman gewöhnt und nannte ihn Old Funny wie der Rest der Besatzung. Es kam vor, dass sie über Marstal sprachen.
    Knud Erik hatte nicht mit Herman gesprochen, seit er an Bord gekommen war.
    Er ging auf ihn zu, ohne zu grüßen.
    «Es wird Zeit, dass du dich mal nützlich machst.»
    Er befahl ihm, sich einen Islandpullover, einen Dufflecoat und Ölzeug anzuziehen, bevor er seinen Kopf in eine Kappe und einen Wollschal einpacken ließ. Über die Hand bekam er einen Fausthandschuh. Der Unterkörper wurde mit einer Decke und einer Persenning bedeckt. Dann befahl Knud Erik, ihn an den Rollstuhl zu binden.
    Herman blieb unbeeindruckt.
    «Ich fühle mich wie ein Säugling, der spazieren gefahren wird.»
    Er fragte nicht einmal, wozu der Kapitän ihn einsetzen wollte.
    «Ich hoffe, du stirbst vor Kälte», sagte Knud Erik.
    Zwei Männer bugsierten Herman auf den Vordersteven, wo sie den Rollstuhl befestigten, damit das schwere Rollen des Schiffs ihn nicht umwarf. Die

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