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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Nimbus ging nicht tief genug in die Wellen, um den ganzen Bug unter Wasser zu setzen, aber es sprühte dennoch eiskalt über das Vordeck.
    Knud Erik stand auf der Brücke und blickte auf die kompakte Gestalt herab, die den ganzen Bug auszufüllen schien. Der Kreis hatte sich geschlossen. Einst hatte Herman Ivar auf den Bugspriet geschickt. Nun war er es, der ihn in eine ähnlich exponierte Position brachte.

    Er sah, wie Herman den Arm anwinkelte und etwas zum Mund führte. Irgendjemand hatte ihm eine Flasche Wodka zugesteckt.
    Doch, Old Funny war einer von ihnen.
     
    Zwei Stunden waren vergangen, als Herman den Arm hob. Sie wurden mit einem Torpedo beschossen.
    Knud Erik befahl back, und unten im Maschinenraum reagierte Anton sofort. Knud Erik dachte noch, es ist doch sonderbar, dass sie in diesem Moment beide unbedingtes Vertrauen in den Mann setzten, der einst ihr Leben in Gefahr gebracht hatte. Dann sah er den Schaumstreifen direkt vor dem Vordersteven. Hermans Warnung war im letzten Moment gekommen.
    Der Torpedo schoss auf eines der Konvoischiffe zu, den Tanker Hopemount. Parallel tauchte ein weiterer Schaumstreifen auf. Die Torpedos trafen die Hopemount im Abstand von zehn Sekunden mittschiffs. Das Schiff brach auseinander. Die beiden Hälften trieben in der heftigen See in entgegengesetzte Richtungen, der vordere Teil begann sofort zu sinken. Die See rund um das zerborstene Schiff war voller Männer, die mit oder ohne Schwimmwesten darum kämpften, in dem eiskalten Wasser nicht unterzugehen.
    Die Nimbus lief noch immer mit voller Kraft zurück. Sie waren nun das letzte Schiff des Konvois. Einer der Trawler näherte sich. Knud Erik hoffte, dass er die Überlebenden an Bord nahm. Warf er Wasserbomben, würde das den sicheren Tod für die Seemänner im Wasser bedeuten.
    Auf dem hinteren Teil der Hopemount, der sich noch immer über Wasser hielt, tauchte eine halbnackte Gestalt an Deck auf. Der Seemann hatte es geschafft, eine Rettungsweste unter dem gewaltigen Bauch festzuzurren, aber die Beine waren nackt. Er kletterte auf die Reling und fiel vornüber ins Wasser. Knud Erik sah ihn wieder auftauchen und mit raschen Schwimmzügen versuchen, dem Sog des halb aufgerichteten Achterstevens zu entkommen, der durch das eindringende Wasser kurz davor war, auf den Grund des Meeres zu sinken. Das Notfeuer der Schwimmweste leuchtete mitten in den grauen Wellen rot auf.
    Er hatte es schon so oft gesehen und wusste, was es bedeutete: noch ein Verrat, noch ein Stück seiner ohnehin schon havarierten Menschlichkeit, das untergehen würde.

    In diesem Moment verlor er die Besinnung.
    Er schob den Rudergänger zur Seite, gleichzeitig befahl er volle Kraft voraus und legte das Ruder hart Backbord. Sie näherten sich schnell dem sinkenden Heck der Hopemount. Noch immer hatte Knud Erik seine Augen auf den Mann gerichtet, der in den Wellen kämpfte.
    Der Schwimmende legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf in den bedeckten Himmel, als würde er nach Luft ringen. Eine schwere See hob ihn an und brachte ihn außer Sichtweite. Als man ihn wieder ausmachen konnte, schien er zu schreien. Der Lärm der Maschinen verhinderte, dass Knud Erik irgendetwas hörte. Dann färbte sich das Wasser um ihn herum rot.
    Einen Augenblick glaubte Knud Erik, der Trawler hätte die Wasserbomben abgefeuert, und der Seemann würde mit geplatzter Brust aus dem Wasser schießen, aber nichts geschah. War er von einem Hai angegriffen worden? Nicht sehr wahrscheinlich. Möglicherweise hatte er sich verletzt, als er ins Wasser sprang.
    Ein paar Minuten waren vergangen. Der Seemann befand sich nun ganz in der Nähe. Aber seine Zeit schien bald zu Ende. Niemand überlebte lange in dem eiskalten Wasser.
    Knud Erik ordnete full stop an und lief von der Brücke. Er kletterte auf die Reling, dort stand er einen Moment und schwankte, als wüsste er nicht, zu welcher der beiden Seiten er sich fallen lassen sollte.
    Dann sprang er.
    Wenn er es später vor sich selbst rechtfertigen wollte, dachte er: Ich tat es, um mein Leben wieder ins Lot zu bringen. Aber in dem Moment, als er sprang, dachte er an gar nichts. Er sprang, wie man sich mit einem Finger im Auge reibt, wenn dort etwas stört. Ein rotes Notfeuer leuchtete, und das störte ihn gewaltig.
    Er brach mit der Grundregel der Konvoifahrt, dass ein Schiff niemals stoppen durfte, um Überlebende aufzunehmen. Die Regel hatte man nicht nur aufgestellt, um zu verhindern, dass sie zu einem leichten Ziel für die

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