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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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hatten sie sich allerdings an den Red Duster gewöhnt und beließen es dabei. Außerdem waren ungefähr ebenso viele Nationen an Bord, wie es Besatzungsmitglieder gab, und selbst die wenigen Dänen stellten eine bunt gemischte Truppe dar.
    Und Bluetooth? Er war im Atlantik geboren und Ehrenbürger dort.
    Sie waren ein seefahrendes Babel im Krieg mit dem Herrgott.
    «Wir könnten doch Bluetooths Windeln vom Mast wehen lassen», schlug Absalon vor.
    «Sauber oder dreckig?», fragte Wally nach.
    Er war der Nimbus -Meister im Windelnwechseln.
    Sie scheuerten das Deck und seiften die Schotten ab. Es herrschte Sauberkeit, der Stil der Segelschiffe, wie auf der alten Dannevang, Friede sei mit ihr. Es lag alles an Bluetooth.
    Sie konnten an Land gehen und an einer Bar stehen. Nun nannte sie niemand mehr halbe Deutsche oder Adolfs bevorzugte Freunde. Wenn Seeleute hörten, dass sie auf der Nimbus fuhren, fragten sie sofort: «Und wie geht es Bluetooth?»
    Gut, danke. Er verlor seine Haare und bekam neue, schwarz wie die seiner Mutter. Und den ersten Zahn, ein bisschen weh tat es ihm schon. Dann die ersten Schritte, er lernte auf einem Schiffsdeck laufen. Wahrscheinlich dachte er, dass die ganze Welt aus Wellenbergen bestand –
hoch, runter, hoch, runter –, und war enttäuscht, wenn die Erde unter seinen Füßen nicht schwankte. Es kam vor, dass er hinfiel und sich verletzte. Dann saß er bei seiner Mutter auf dem Schoß. Oder bei einem seiner vielen Väter. Es war gar nicht so einfach zu lernen, in siebzehn Sprachen «Vater» zu sagen. Seekrank? Bluetooth? Niemals! Es gab niemanden in der ganzen alliierten Handelsflotte, der seetauglicher war als er.
    Die Nimbus war ein glückliches Schiff.
    Bis zu einem Frühjahrstag im Jahr 1945.
     
    Sie befanden sich auf dem Weg nach Southend. Zum ersten Mal seit vier Jahren fuhren sie durch die Nordsee. Noch immer gab es U-Boote, aber nur in großen Abständen, und die Berichte über Verluste wurden immer seltener. Es war gegen zehn Uhr abends. Ruhige See. Im Nordwesten schimmerte noch etwas Licht, der Sommer war nicht mehr weit. Dann endlich wurden sie von dem Torpedo gefunden, auf den sie all die Jahre im alliierten Kriegsdienst gewartet hatten. Der Krieg schickte ihnen einen Abschiedsgruß, als Erinnerung, dass man sich niemals auf ihn verlassen konnte, selbst wenn das Ende so nahe schien.
    Der Torpedo traf sie unterhalb der Ladeluke Nummer drei, und die Nimbus begann sofort Wasser aufzunehmen. Die Rettungsboote an Steuerbord und Backbord waren unbeschädigt und hingen wartend in den Davits. Die Heizer kamen in ihren verschwitzten Unterhemden an Deck. Die Männer der Freiwache erschienen in Unterwäsche. Knud Erik herrschte sie an, denn er hatte den Befehl gegeben, in den Kleidern zu schlafen – für den Fall, dass sie von einem Torpedo getroffen würden. Niemand hatte mehr daran geglaubt. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der sie mit angelegten Schwimmwesten schliefen. Nun konnten sie sich kaum daran erinnern, wann sie zuletzt das Geräusch eines herabstürzenden Stukas gehört hatten. Und die U-Boote – gab es überhaupt noch welche?
    Drei Minuten später waren alle in den Booten und stießen sich ab. Als der Torpedo sie traf, war die Nimbus bei dem ruhigen Wetter top steam gelaufen, und noch immer fuhr sie mit unverminderter Geschwindigkeit, während der Vordersteven immer tiefer im Wasser versank. Es sah aus, als rutschte das Schiff auf einer Rampe, die zum Meeresgrund führte. Als das Wasser die Decksaufbauten erreichte, war aus dem Maschinenraum
ein Knall zu hören, und eine Säule aus Dampf und Rauch stieg in den wolkenfreien Frühjahrshimmel, an dem die ersten Sterne leuchteten. Die Nimbus hielt ihren Kurs Richtung Meeresgrund. Das Letzte, was sie sahen, war der Achterspiegel mit dem Namen des Schiffs und dem Heimathafen Svendborg. Dann war es verschwunden. Kaum dass sich eine Welle erhob, die den Blick aufs Meer störte.
    «Weg», sagte Bluetooth. Er saß bei seiner Mutter auf dem Schoß, eingepackt in eine Decke, aus der nur sein Kopf ragte. Er gab ein Schniefen von sich, als hätte er sich in der kühlen Abendluft erkältet. Dann begann er zu weinen.
    «Lass die Tränen nur laufen, mein Junge. Du hast wahrlich das Recht dazu.»
    Es war Old Funny, der mitten im Rettungsboot in seinem Rollstuhl thronte. Er sah sich um, als wäre er eine Art Sprecher für Bluetooth.
    «Das war das Elternhaus unseres Kleinen, das da gerade in die Luft geflogen ist!»
    Schweigend ließen

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