Wir Ertrunkenen
sie über uns denken, wenn wir bereit sind, für ein Sandkorn zu töten, das eine irritierte Muschel in kalkhaltige Absonderungen eingekapselt hat.»
«Welchen Gegenwert hast du für die Perlen geliefert?»
«Ich habe mit den freien Männern gezahlt.»
«Es waren also keine freien Männer. Sie waren deine Gefangenen.»
«Nein», entgegnete Jack Lewis und schüttelte den Kopf, während es erneut in seiner Brust gurgelte. «Du hast es noch immer nicht begriffen. Sie waren nicht meine Gefangenen. Sie waren meine Schüler.»
«Du hast recht. Ich hab’s noch immer nicht begriffen. Ich glaube, du bist ein gewaltiger Lügner.»
«Hör zu.»
Jack Lewis lag nach wie vor mit einer Wange auf dem Deck. Er schielte zu mir herauf, und in seinen Augen lag ein ironischer Ausdruck, den ich nur schwer mit einem Sterbenden in Verbindung bringen konnte.
«Die Wilden haben keine Idee der Freiheit. Sie sind frei, wissen es aber nicht. Du musst die Freiheit erst verlieren, bevor du lernst, sie zu schätzen.»
«Und darum hast du sie in den Laderaum gesperrt.»
Jack Lewis schnitt wieder eine Grimasse, aber ob aus Widerwillen über meine Begriffsstutzigkeit oder weil er noch einmal versuchte zu lächeln, war nicht zu erkennen.
«Nein, ich habe sie nicht in den Laderaum gesperrt. Ich überließ sie lediglich ihrer eigenen Furcht. Ich sorgte dafür, dass sie niemals das Tageslicht sahen, und in der Dunkelheit hatten sie dann alle möglichen Vorstellungen über das furchtbare Schicksal, das sie erwartete. Als ich die Luken öffnete und das Tageslicht hineinströmen ließ, war ihre Ausbildung beendet. Sie verstanden sofort, was Freiheit ist, und griffen zu.»
«Und was hat das mit den Perlen zu tun?»
«Die Antwort liegt in der Morning Star», erwiderte Jack Lewis. «Die Morning Star war ein blackbirder, ein Sklavenhändler. Es strandete, und die Ladung rebellierte, ermordete die Besatzung und begann, die unbewohnte Insel zu kolonisieren. Es waren auch Frauen und Kinder darunter, mit anderen Worten, sie hatten nicht das Gefühl, auf einer einsamen Insel gestrandet zu sein. Sie hatten eine ganz neue Welt geschenkt bekommen, in der sie von vorn anfangen konnten. Es fehlte ihnen bloß eine Sache in ihrem Paradies, und genau hier komme ich ins Bild.»
Sein Miene hellte sich triumphierend auf, und plötzlich verstand ich, warum er mir all dies anvertraute. Er war stolz auf seine Gemeinheiten und ertrug den Gedanken nicht zu sterben, ohne dass er jemanden davon in Kenntnis setzte. Er hatte aus seinem ganzen Leben ein Geheimnis gemacht, und doch brauchte er einen Eingeweihten, der den vollen Umfang eines Verbrechens bezeugen konnte, das er selbst als endgültigen Beweis, ja nicht einmal für seine Gerissenheit ansah, sondern eher für seine eigene einzigartige Einsicht in den menschlichen Charakter.
Er wirkte hässlich in seinem Triumph, und mein Blick suchte James Cook mit seinen aufgetriebenen Nasenlöchern und den zusammengenähten Augenlidern. Ich zog dieses grausam verzerrte Gesicht dem von Jack Lewis vor. Dennoch musste ich meine Fragen fortsetzen, obwohl ich spürte, dass bisweilen auch ein Zuhörer zu einem Mitschuldigen werden kann. Aber ich konnte nicht aufhören. Ich musste das Geheimnis der freien Männer lüften.
«Was war es, was fehlte den Wilden in ihrem Paradies?», fragte ich.
«Kostveränderung», antwortete Jack Lewis, und sein Gesicht verzog
sich zu einer schrecklichen Grimasse, von der ich annahm, dass es die Art eines Sterbenden war zu lachen. Einen Moment später ging das Lachen in ein hohles, gurgelndes Husten über. Es klang, als würde er erwürgt, über seine aufgesprungenen, schmalen Lippen sickerte Blut.
Langsam ging mir auf, wovon er sprach. Er schien meinen Abscheu zu bemerken.
«Es sind doch Kannibalen», sagte er in einem belehrenden Ton, als würde er mit einem Kind sprechen.
«Du verkaufst also Menschenfleisch», sagte ich, und mein Blick fiel wieder auf Jim.
«Die Welt ist nicht so einfach», erwiderte Jack Lewis. «Ich verkaufe kein Menschenfleisch. Ich verkaufe die Möglichkeit zu siegen. Das war es, was im Paradies fehlte, ja, in jedem Paradies. Der Fehler liegt in der eigentlichen Konstruktion. Die Schlange ist nicht der Feind. Sie ist nur eine Versuchung. Ich denke an einen richtigen Feind, den man entweder bekämpfen oder dem man sich unterwerfen muss. Ich denke an die Chance, sich selbst im Kampf zu beweisen, um zu siegen oder zu sterben. Das war es, was ich den verdammten Kannibalen
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