Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
Strafgefangenen besser dran sind als wir, dann frage ich mich, warum wir hier sitzen?«
Totenstille. Märtha sah sie verdattert an, aber fasste sich gleich wieder.
»Genau. Warum gehen wir nicht auf Diebstahlstournee und marschieren hinter Gitter?«
»Jetzt machst du aber Witze, oder?«, antwortete Anna-Greta, wobei sie komisch lachte. Das klang gar nicht wie ihr übliches Pferdewiehern, sondern eher wie ein kleines Pony.
»Diebstahlstournee. Was soll denn das heißen? Niemals!«, entfuhr es Stina, denn ihre christliche Erziehung hatte sie geprägt.
»Du darfst nicht stehlen, Amen, Punkt, Schluss!«
»Denk doch mal nach. Warum nicht?«, fragte Märtha, stand auf und stellte den Fernseher aus. »Was haben wir schon zu verlieren?«
»Du bist ja verrückt. Erst willst du uns zu Sportskanonen machen, dann zu Verbrechern. Das geht wirklich zu weit«, sagte Kratze.
»Ich wollte nur mal sehen, was ihr dazu sagt«, lächelte Märtha.
Erleichtertes Seufzen war zu hören, und bald wechselten sie das Gesprächsthema. Doch als alle gegangen waren, griff Snille die Sache noch einmal auf.
»Ich glaube, das hat sie zum Nachdenken gebracht«, sagte er. »Jetzt haben sie mal etwas anderes zu sehen bekommen als das Heim.«
»Ja, das war der erste Schritt. Jetzt muss die Sache reifen«, erklärte Märtha.
Er strich ihr kurz über die Wange.
»Weißt du was, bald machen wir uns aus dem Staub.«
»Ja, und nicht nur das«, antwortete Märtha.
Eine Woche verging, ohne dass noch ein Wort über diese Fernsehsendung verloren wurde. Als ob es ihnen unheimlich sei, das Thema anzusprechen. Keiner traute sich. Während Märtha ihren neuen Krimi las, Mord im Altersheim , war Snille mit den Vorbereitungen beschäftigt. Er hatte einen Abstandhalter an ihren Rollatoren befestigt, damit sie in der Stadt nicht überfahren wurden – und dann legte er noch letzte Hand an die Erfindung der Woche.
»Schau mal, Märtha«, sagte er und hielt ihr eine rote Mütze mit fünf kleinen Löchlein auf der Vorderseite hin. »Drück auf den Schirm, dann siehst du, was passiert.«
Märtha griff an die Kappe, drückte, und im nächsten Moment erleuchtete ein greller Lichtkegel das Zimmer.
»Besser als eine Stirnlampe. Solche Schirmmützen mit Leuchtdioden kann man bei einem Überfall gut gebrauchen.«
Märtha brach in Lachen aus.
»Woran du alles denkst«, sagte sie, und ihre Stimme klang fast zärtlich dabei.
»Aber jetzt sind mir die Leuchtdioden ausgegangen.«
»Wenn ich schon in dem Lädchen bin und Obst und Gemüse einkaufe, dann kann ich auch für dich zum Eisenwarengeschäft flitzen. Aber es ist doch ein Irrsinn, dass wir das alles heimlich tun müssen, oder?«, meinte sie. »Kannst du dich noch an die Anzeige für das Seniorenheim erinnern? Goldkante am Herbst des Lebens stand da.«
»Wenn unser Plan aufgeht, dann wird alles noch viel besser«, sagte Snille und setzte sich die Kappe wieder auf. »Und im Gefängnis sind sie bestimmt nett zu uns, weil wir so alt sind!«
»Es ist schon eine spannende Sache, kriminell zu werden. Erst macht man einen Plan, dann begeht man den Diebstahl und danach warten im Gefängnis wieder neue Abenteuer.«
»Stimmt. Wir können zwar nicht Fallschirm springen oder eine Weltreise machen, aber auf ein bisschen Spannung müssen wir trotzdem nicht verzichten.« Snille sah träumend aus dem Fenster.
»Obwohl wir uns ein Verbrechen ausdenken müssen, bei dem niemand zu Schaden kommt«, fuhr Märtha fort.
»Ein Gelddiebstahl ist schlimm genug, dass man ins Gefängnis wandert, und dafür können wir die anderen bestimmt gewinnen«, sagte Snille. »Am besten klauen wir bei denen, die stink reich sind.«
»Unterm Strich bleibt dann mehr«, sagte Märtha. »Die Reichen, die die Forschung unterstützen und spenden, die lassen wir in Frieden. Aber die, die sich vor der Steuer drücken und immer mehr haben wollen, die knöpfen wir uns vor.«
»Finanzhaie, Ausbeuter und …?«
»Ja, solche, die dem Geld hinterherjagen. Hast du gewusst, dass sich reiche Leute immer mit denen vergleichen, die noch reicher sind? Sie wollen immer mehr. Und wenn sie selbst nicht darauf kommen, etwas abzugeben, dann können wir ja nachhelfen. Wir erweisen ihnen quasi einen Dienst.«
»Es könnte sein, dass sie das nicht so sehen«, antwortete Snille, »aber du hast natürlich recht.« Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen, wie viele seiner Freunde aus der Kindheit. Sein Vater hatte bei Marabou gearbeitet, und er selbst hatte sich
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