Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
einer Pfingstgemeinde angehört und sie immer wieder ermahnt, auf sich achtzugeben. Sollte sie das von einem Tag zum anderen vergessen? Jeden Sonntag hatten die Eltern sie gezwungen, in die Kirche zu gehen. Das war sterbenslangweilig gewesen, und hätten sie nicht Musik gemacht, hätte sie es nicht ausgehalten. Jönköping war ein Zentrum der Pfingstbewegung, und es ging immer darum, dass man alles richtig machte. Wenn auf dem Vätternsee das Wasser spiegelblank lag und silbrig glitzerte, dachte sie, Gott sei guter Dinge und hielte die Wellen zurück. Doch wenn es stürmte und die Brandung gegen den Strand schlug, bekam sie Angst, dass er böse war und nun käme und sie holte. Ihre Eltern hatten nämlich immer gesagt, dass Gott sie strafen würde, wenn sie eine Dummheit machte – was sie häufiger getan hatte. Stina huschte in der Dunkelheit ein Lächeln übers Gesicht.
Ihre Eltern hatten ein Stoffgeschäft geführt und darauf gehofft, dass sie es eines Tages übernehmen würde. Und vielleicht wäre es auch so gekommen, hätte sie sich nicht in Olle, den Tenor im Kirchenchor, verliebt. Er wollte immer mit ihr hoch zur Ruine des Brahehauses gehen und hinunter auf den Vätternsee schauen. Die Ruine mit ihren dicken Mauern und den Fenstern, die wie schwarze, leere Augen aussahen, war beeindruckend. Sie flößte einem Angst ein, doch zog sie einen auch gleichzeitig in ihren Bann. Mit ihm war es dasselbe. Nach ein paar Ausflügen zu den alten Gemäuern zog er sie hinter die Büsche, und dort verlor sie ihre Unschuld. Genau wie jetzt hatte sie der Versuchung des Neuen und Aufregenden nicht widerstehen können. Doch bald darauf wurde sie schwanger, und ihre Eltern zwangen sie, ihn zu heiraten. Olle hatte zwar anständig verdient, und sie waren in ihren Ehejahren finanziell gut versorgt gewesen. Doch richtig glücklich wurde die Ehe nicht, und nach ihrem Hausfrauendasein mit den Repräsentationspflichten, die ihr zuwider waren, fiel mit der Scheidung eine Last von ihr ab. Danach hatte sie mit dem Geld aus dem Zugewinnausgleich ein Hutgeschäft eröffnet und ein ganz neues, viel zufriedeneres Leben begonnen. Sie hatte Literaturgeschichte studiert, und dann waren da noch der Chor und die Freunde. Wie hatte sie das Leben genossen! Stina schloss die Augen und dachte an Kratze. Wenn er ein Verbrecher werden würde, dann wollte sie das auch. Es war wirklich wie an diesen Abenden am Brahehaus. Verboten und spannend zugleich …
13
Die morgendliche Besprechung war vorüber, und nun ging es endlich zur Sache. Snille holte die Kneifzange, ein Stück Kabel, Silberklebeband und eine Tube Sekundenkleber und steckte alles in eine kleine weiße, undurchsichtige Plastiktüte. Sie passte gut in die großzügige Tasche seines Bademantels und war von außen nicht sichtbar. Snille warf einen Blick auf die Uhr. In fünf Minuten war er mit Märtha im Spa verabredet.
Während Märtha mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr, ging sie den Plan noch einmal durch. Die einzelnen Aktivitäten waren genau durchdacht, doch das Einzige, was Märtha beunruhigte, war, dass Snille einen Stromschlag bekommen könnte, wenn er den Kurzschluss herbeiführte. Das Mädchen an der Rezeption sah auf, als Märtha hineinspazierte.
»Ich hätte gern ein Handtuch«, sagte Märtha.
»Gern, einen Bademantel haben Sie ja bereits, wie ich sehe«, antwortete die junge Frau und drehte sich zum Handtuchregal um. In dem Moment huschte Snille vorbei und verschwand mit seiner Tasche im Umkleidebereich für Herren. Die Angestellte legte ein großes, weißes Handtuch auf die Theke.
»Herrlich, so weich«, sagte Märtha und drückte es an ihre Wange. Die Rezeptionistin hielt ihr eine Plastikkarte hin.
»Wenn Sie Ihre Sachen im Wertfach deponiert haben, drücken Sie mit dieser Karte einfach das Schloss zu. Und wenn Sie das Schloss wieder öffnen wollen, machen Sie dasselbe, und es geht wieder auf.«
»Raffiniert«, lächelte Märtha und hoffte, dass ihr Verhalten nicht auffälliger war als üblich.
Im Umkleideraum war es hell, und ein sanfter, süßlicher Duft fuhr ihr in die Nase. Eine dunkelhaarige Frau zog sich gerade um und weiter hinten sah Märtha, wie eine Frau aus der Dusche kam. Ansonsten war niemand da. So früh am Morgen waren nur wenige der Wertfächer belegt. Märtha duschte, zog ihren Badeanzug an und ging hinüber zum Pool. Doch sie hatte gerade die ersten Züge gemacht, da begann auch schon das Licht zu flackern. Sie hielt an, ging hinaus und lief zurück in
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