Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
Uniform mit Unmengen von Medaillen auf der Brust. Die Kappe, die zur Uniform gehörte, saß perfekt und verdeckte sein mittlerweile dünn gewordenes Haar. Er sieht doch wesentlich besser aus als die fetten Politiker, die wir heute jeden Tag im Fernsehen zu Gesicht bekommen, dachte sie. Vielleicht sollte sie die Sozis nicht mehr wählen, denn sie war ja Royalistin. Wie konnte man nur gegen ein Königshaus sein? Wenn man den König abschaffte, dann musste man ihn doch durch ein anderes Staatsoberhaupt ersetzen, und das konnte doch kaum besser werden?
Dann nahm sie sich den Renoir vor. Der große Goldrahmen passte perfekt zu dem Bild von König und Königin. Rasch hob sie den schweren Rahmen herunter, legte den Farbdruck darauf und tackerte das Bild fest. Dann hatte sie wieder ihre liebe Not, den elendigen Rahmen zu befestigen. Doch es gelang ihr schließlich. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und betrachtete ihr Werk. Jetzt wirkte das Bild sogar richtig pompös, aber es zeigte ja auch das schwedische Königspaar. Die beiden waren Schwedens Gesicht in der Welt, da konnten die Sozis sagen, was sie wollten. Nur schade, dass Königin Silvia sich hatte liften lassen. Eine der schönsten Frauen der Welt hatte sich nicht für schön genug befunden. Das war eine Katastrophe für die Frauenbewegung und eine schlimme Niederlage für die Frau, fand Petra. Sie betrachtete die zwei Bilder noch einmal ganz genau. Die Farben passten zueinander, und mit den Rahmen sahen sie auch gut aus. Vielleicht war der Goldrahmen rund um das Königspaar eine Spur zu protzig, deshalb nahm Petra ein bisschen vom Baustaub und wischte über die Oberfläche, bis er richtig kitschig aussah. Nur wenn man die Bilder anhob, merkte man, wie schwer sie waren, ansonsten konnte man meinen, die Rahmen seien aus Kunststoff.
Sie legte das Werkzeug zurück, stellte die Müllsäcke zu dem anderen Gerümpel und sah nach, ob sie nichts auf dem Boden liegengelassen hatte. Dann schlug sie die Bilder noch einmal in Schutzfolie ein, steckte sie in zwei schwarze Plastiksäcke und verstaute sie in ihrem Koffer. Einen kurzen Moment lang starrte sie ihn an, dann schloss sie ihn ab, zog den Handgriff heraus und rollte ihn zum Fahrstuhl. Was sie tat, war kein Diebstahl. Sie würde die Bilder ja nur für eine gewisse Zeit ausleihen , und sobald sie den Finderlohn kassiert hatte, kämen sie ins Museum zurück.
Keiner nahm Notiz von ihr, als sie das Hotel verließ, und in der U-Bahn war sie nur eine von vielen Reisenden, die Gepäck dabeihatten. Als sie in ihre Wohnung kam, schloss sie die Tür und atmete auf. Ihre kleine Gemäldeexpedition war gutgegangen, und hätte sie die Bilder nicht an sich genommen, wären sie wahrscheinlich für immer verloren gewesen. Ja, ein kleines bisschen stolz war sie schon auf ihren Einsatz für die Kunst. Sie machte sich einen Tee und aß ein Brot, bevor sie sich wieder mit den Bildern beschäftigte. Sie sah sich um und entschied sich für die Wand über dem Sofa. Dann hängte sie die Bilder auf, trat ein paar Schritte zurück und betrachtete zufrieden das Königspaar, das ihr aus seinem goldenen Rahmen zulächelte. Niemand, absolut niemand, würde auf die Idee kommen, einen Renoir und einen Monet in einer Studentenbude zu suchen.
52
Dunkle Wolken hingen über dem Schlosspark, und es lag ein Gewitter in der Luft, als Stina und Anna-Greta schließlich in Hinseberg ankamen. Als das Tor geöffnet wurde und Märtha ihre Freundinnen sah, ging ihr das Herz auf. Endlich hatte sie ihre Seelenverwandten wieder um sich, und das war wunderbar, besonders, da die letzten Tage so anstrengend gewesen waren.
Als Liza wieder gesund war, hatte sich nämlich herausgestellt, dass sie für die nächsten Wochen keinen Freigang mehr bekommen konnte, weil die Wärter im Gefängnis ausgebucht waren, und danach begann die Urlaubszeit. Ja, es würde noch einige Zeit vergehen, bis sie wieder hinausdurfte. Liza blinzelte Märtha bösärtig an, als vermutete sie etwas. Und Märtha wusste gleich Bescheid. So eine wie sie würde sich rächen.
Es dauerte lange, bis Stina und Anna-Greta mit der Leibesvisitation und ihrer Einweisung fertig waren. Offensichtlich hatte aber alles problemlos geklappt, denn ein paar Stunden später erklang laut schallend Hornmusik aus Anna-Gretas Zimmer. Nach den Vorschriften durfte man nur fünf private Kleidungsstücke, Blumentöpfe, Bücher, Kassetten und CDs mitnehmen, aber Anna-Greta schien einen armen Wärter davon überzeugt zu
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