Wir Genussarbeiter
Schaumküche: »Bei Ferran Adrià handelt es sich wie damals bei der ›Nouvelle Cuisine‹ um eine Küche für Menschen, die satt sind, und das Essen wird im besten Falle zu einem Geschmackserlebnis ohne Ernährung und Sättigung. Darüber hinaus wird die Taktilität der Speisen und Substanzen vernichtet und/oder verändert, dadurch entfällt ihre Lesbarkeit, die Erinnerung und auch die Assoziationsbildung […] Das schon heute weiter verbreitete […] Aufschäumen von z. B. Gemüsen verschafft den unterschiedlichsten Ingredienzien eine gleiche Taktilität im Mund. Ja, die Vergrößerung der Oberfläche durch das Aufschäumen ermöglicht eine Geschmacksintensivierung. Dieser Vorteil wird aber durch den Verlust der ureigenen Taktilität der Substanz wieder zunichte gemacht.«
Um des Geschmacks willen löffelt der Genießer das Gänsebein also wie einen Brei, der die Ursprungsgestalt des Zugerichteten nicht mehr erahnen lässt. Wo aber, fragt Fey, bleibt da die Erinnerung? Um jene viel zitierte Passage aus Prousts berühmtem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit einmal
mehr zu bemühen: Wäre Prousts Hauptfigur Marcel im Strudel seiner Erinnerungen versunken, wenn er statt des Madeleine- Gebäcks einen Löffel Madeleine- Schaum gegessen hätte? Wohl kaum, denn er hätte die Madeleine noch nicht einmal in den Tee tunken können! Als Schaum verliert das Ding seine Geschichte, seinen Körper und seine Bedrohlichkeit. Er bleibt nicht im Halse stecken, birgt keine von außen unsichtbaren Knochen, Knorpel, Sehnen in sich, sondern stellt vielmehr eine transparente, ungefährliche Oberfläche dar. Auf diese Weise bekommt der Genuss etwas Unwirkliches, Künstliches, ja beinahe Virtuelles , scheint er doch mit dem ursprünglichen Ding nicht mehr viel zu tun zu haben.
Aber, so könnte man an dieser Stelle einwenden: Ist Künstlichkeit an sich unbedingt von Nachteil? Gut, dem Schaumpilz fehlt die Taktilität eines echten Pilzes, aber was wäre, wenn man einen Kunstpilz herstellen könnte, der aussieht und sich anfühlt wie ein Wald-und-Wiesen-Pilz und so intensiv schmeckt wie ein Schaumpilz? Wäre der Genuss eines solchen Super-Pilzes, Künstlichkeit hin oder her, nicht schlichtweg unübertrefflich? Warum schimpfen wir immer so auf das Virtuelle, das Künstliche, die Simulation? Ist die Simulation im Hinblick auf den Genuss nicht letzten Endes mindestens ebenso gut wie die Wirklichkeit, ja im Grunde sogar besser ? Was empfinden wir intensiver: den Anblick eines küssenden Paares auf der Straße oder den Anblick eines küssenden Paares im Kino? Und, um noch eine Lanze für den simulierten Genuss zu brechen: Der simulierte Genuss ermöglicht nicht nur höchsten Genuss, sondern höchsten Genuss ganz ohne Gefahr ! Wäre es für Odysseus nicht das Lustvollste gewesen, wenn er den Sirenen, anstatt auf dem Meer, im Kinosessel mit Dolby-Surround-System gelauscht hätte, ohne störendes Rauschen und so dicht dran am Geschehen, als wäre er doch
an Land gegangen? Höchster Genuss, ja, sogar Ekstase ohne Risiko, das ist es, was simulierter Genuss im Gegensatz zu echtem leistet – und natürlich werden die entsprechenden Produkte längst angeboten. »Auf dem heutigen Markt«, so der Philosoph Slavoj Žižek, »finden wir eine ganze Reihe von Produkten, die ihrer schädlichen Eigenschaften beraubt sind: Kaffee ohne Koffein, Sahne ohne Fett, Bier ohne Alkohol und so weiter. Und was ist mit virtuellem Sex als Sex ohne Sex?… Die virtuelle Realität verallgemeinert einfach dieses Verfahren, ein Produkt anzubieten, das seiner Substanz beraubt ist: Sie stellt die Realität selbst ohne ihre Substanz zur Verfügung, ohne ihren harten Kern des Realen – so wie entkoffeinierter Kaffee wie echter Kaffee duftet und schmeckt, ohne das echte Ding zu sein, wird die virtuelle Realität als Realität erfahren, ohne wie sie zu sein. Alles ist erlaubt, man kann alles genießen – unter der Bedingung, daß es seiner Substanz beraubt ist, die es gefährlich macht.«
Der Genuss ohne Sünde hat keine Kalorien, er ist ungezuckert, beinhaltet kein Fett, keinen Alkohol, kein Koffein und verursacht außerdem keinen Tripper und keine Verlassensängste. Gut, man kann von Zuckerersatzstoffen und auch virtuellem Sex abhängig werden – aber ist das nicht immer noch besser als Verfettung, Liebeskummer oder gar eine Geschlechtskrankheit? Der Genießer, der nicht sündigt, macht sich nicht schuldig, er ist immer auf der richtigen Seite, auf der Seite seines
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