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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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den wir am Ende dieser Überlegungen zur Abwechslung einmal in die Gegenwart holen wollen. Würde Homers Held heute leben, er ginge vermutlich ins Wellness-Center, wo das rationale Genießen vorerst seinen Höhe- oder auch Tiefpunkt erreicht hat. Der Wellness-Genuss ist per definitionem Erholungsgenuss, ein Genesungs -Genuss, der den Produktionsapparat nicht nur unbeschädigt lässt wie ein alkoholfreies Bier. Nein, der Genesungs-Genuss – im Übrigen zwei Begriffe, die begriffsgeschichtlich in einem Zusammenhang stehen – der Genesungs-Genuss also stützt den Produktionsapparat sogar, indem er Gesundheitsvorsorge betreibt und selbst Einläufe und Fastenkuren als Vergnügen deklariert.
    Im Wellness-Center also setzt sich Odysseus gemeinsam mit anderen von der Arbeit Geplagten auf die harten Holzbänke einer finnischen Sauna, lässt sich danach massieren und, abseits des Trubels, den durch schwer verdauliche Schiffskost arg strapazierten Darm durchspülen. Anschließend legt er sich in heißes Totes-Meer-Salzwasser, was ihn als Seefahrer zwar ein wenig langweilt, aber gut für die Haut sein soll. Dass er den Genuss auf diese Weise selbst zur Arbeit werden lässt, merkt Odysseus nicht – denn er ist, im heißen Salzwasser liegend, gerade mit etwas anderem beschäftigt. Er horcht. Horcht angestrengt in sich hinein. Horcht, ob sich seine Gedärme regen, ob sich irgendeine Auffälligkeit vernehmen lässt, die auf eine Krankheit hindeuten könnte. Eine Krankheit, die womöglich so gefährlich ist wie der Gesang todeslüsterner
Vogelfrauen, die nur auf den Kontrollverlust ihrer Zuhörer warten … Und da, tatsächlich, ein seltsames Pfeifen, kommt es aus seinen Lungen? Hören Sie das nicht?, fragt Odysseus die Angestellte, die ihm gerade aus dem Wasser helfen will, dieses helle Pfeifen! Ganz nah tritt sie an ihn heran, doch anstatt ihren Kopf auf seine Brust zu legen, wickelt sie Odysseus fest in ein angewärmtes Handtuch. Verzweifelt blickt Odysseus in ihr Gesicht, sagt noch einmal: Hören Sie es denn nicht?, doch die Angestellte lächelt nur freundlich, und als sie sich, ihn noch fester ins Tuch schlingend, kurz zur Seite dreht, sieht er in ihrem Ohr einen kleinen Pfropfen aus Bienenwachs.

Alles Porno
Sex im Burnout-Zeitalter
    MENSCHEN HABEN SEX. Dies ist ein Satz, der, so viel Evidenz er auch auf den ersten Blick zu beanspruchen scheint, immer fragwürdiger wird, je länger man auf ihn schaut. Ist es nicht eigentlich seltsam, dass Wesen, die auf zwei Beinen gehen, Kleidung tragen, über Sprache verfügen, mit Messer und Gabel essen, E-Mails schreiben, Blackberrys bedienen und am Sonntagnachmittag bei einer Tasse Tee das Feuilleton lesen, sich dann und wann ihre durchaus nicht geruchsarmen und auch nicht sonderlich ansehnlichen Geschlechtsteile zur Begattung hinrecken? »Ich schau mir das lieber bei einem Hund an«, so sagte der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard einmal. Wäre es nicht tatsächlich möglich, dass dem Menschen der Geschlechtsakt immer suspekter wird, je weiter er sich entwickelt? Zumal dieser Akt mit dem Erhalt der Gattung ja keineswegs mehr in notwendiger Beziehung steht. Die Pille hat den Sex von der Fortpflanzung abgekoppelt, die Reproduktionsmedizin später dann umgekehrt die Fortpflanzung vom Sex: Im 21. Jahrhundert müssen Menschen nicht mehr miteinander schlafen, um Nachkommen zu zeugen, und es wäre zumindest vorstellbar, dass die Technik den Koitus früher oder später vollständig ersetzt.
    Könnte es also sein, dass der Mensch den Sex irgendwann überwunden haben wird? Dass er ihn hinter sich lässt wie vor Jahrmillionen Reißzähne und Fell? »Das Sexualleben des Kulturmenschen
ist doch schwer beschädigt, es macht mitunter den Eindruck einer in Rückbildung befindlichen Funktion, wie unser Gebiß und unsere Kopfhaare als Organe zu sein scheinen«, ist in Sigmund Freuds Das Unbehagen in der Kultur zu lesen. »Man hat wahrscheinlich ein Recht anzunehmen, daß seine Bedeutung als Quelle von Glücksempfindungen, also in der Erfüllung unseres Lebenszweckes, empfindlich nachgelassen hat.«
    Das ist zugegebenermaßen eine steile These. Ja, es ist noch nicht einmal eine These, sondern, daraus macht Freud keinen Hehl, eine Spekulation, die natürlich sofort Widerspruch hervorruft: Das Sexualleben des Menschen soll evolutionärer Abfall sein? Schön und gut, man kennt diese Gedanken beim Ausziehen (oder sogar beim Sex selbst), dass man jetzt eigentlich ganz wunderbar die zwanzig rot

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