Wir Genussarbeiter
Ehrbezeigungen und Ehrenzeichen, nach äußerer Ehre als nach wirklicher Ehre, die in sich selbst ruht. [...] Im allgemeinen darf gesagt werden: Je mehr Ehrgeiz da ist, umso schwächer das Ehrgefühl.« So moralisierend diese Äußerungen anmuten mögen, zeigt sich gerade heute ihr Wahrheitsgehalt: Reichen die eigenen Kräfte und Kapazitäten nicht aus, wird im Sport gedopt, am Arbeitsplatz gemobbt und betrogen, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken oder sich mit fremden Federn zu schmücken, wie etwa Karl-Theodor zu Guttenberg, der Gedanken, die andere unter Mühen formuliert haben, in seiner Dissertation als die eigenen ausgibt. Wichtig ist einzig und allein
das Renommee des Titels, das Hervorragende eines Summa cum laude ; ob die Leistung tatsächlich selbst erarbeitet wurde und die Auszeichnung also wirklich verdient ist, ist zweitrangig.
In seinem Buch Warum wir siegen wollen behauptet der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf, dass ein derartig enthemmter Ehrgeiz auf den ausgeprägten Wettkampfcharakter der heutigen Arbeitskultur zurückzuführen ist. Auch an der Universität, schreibt Reichholf, komme es längst nicht mehr primär auf Neugierde und Schaulust, sondern vor allem auf das »Siegenwollen« an, weshalb sich selbst Akademiker, denen man gemeinhin akribische Gewissenhaftigkeit nachsagt, krimineller Methoden bedienen: »Es geht um die Erstentdeckung, um die Erstveröffentlichung [...]. Gewertet wird wie im Sport: Sieger (und Nutzungsberechtigter) ist diejenige Person, die als Erste die Entdeckung gemacht hat, und nicht eine andere, die schöner, überzeugender oder menschenfreundlicher vorgegangen ist! Um dieser Priorität willen weichen manche Forscher vom Pfad der wissenschaftlichen Tugend ab und werden zu Betrügern – und das umso eher, je mehr (an Patenterträgen oder wissenschaftlichem Ruhm) auf dem Spiel steht.«
Nicht die Lust an der Arbeit, nicht Mitmenschlichkeit, nicht Überzeugungskraft, sondern das Gewinnen zählt, so Reichholf . Tatsächlich ist der unbedingte Siegeswille, der zwanghafte Ehrgeiz längst nicht mehr nur ein besorgniserregendes Symptom der heutigen Konkurrenzgesellschaft, sondern vielmehr ihr Prinzip. Wir leben in einer Zeit ungeheuren Erfolgsdrucks, in der einigermaßen sicher im Sattel – beziehungsweise, wenn der Siegeswille groß genug ist, im Chefsessel – nur sitzt, wer herausragt, Gewinne einfährt, auch am Wochenende zur Verfügung steht und jede Aufstiegsmöglichkeit beim Schopfe packt. Wer hingegen die Grundregeln des sozialen Miteinanders achtet, einem Kollegen womöglich gar
den Vortritt bei einer Beförderung lässt, am Sonntag prinzipiell nicht arbeitet und, wenn der Auftrag nicht gelingen will, eine Deadline verschiebt und erst einmal spazieren geht, gilt schnell als unmotiviert, im schlimmsten Falle gar als unbrauchbar.
Schon am Anfang des vergangenen Jahrhunderts konstatierte der Soziologe Max Weber, dass »das seines religiös-ethischen Sinnes entkleidete Erwerbsstreben [heute] dazu [neigt], sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziieren, die ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sports aufprägen«. In der heutigen Konkurrenzgesellschaft, die gleichzeitig eine Mediengesellschaft ist, findet diese ausbeuterische Wettkampflogik ihre groteske Zuspitzung im Phänomen Castingshow. In der Sendung Deutschland sucht den Superstar etwa liefern sich Jugendliche einen erbitterten Kampf um den Sieg, wobei der Kitzel sowohl für die Teilnehmenden selbst als auch fürs Publikum gerade darin liegt, dass Ehre und Schande nur eine Haaresbreite auseinanderliegen. Es geht im Grunde überhaupt nicht um den Gesang, um die Darbietung an sich, sondern um den gehobenen / gesenkten Daumen Dieter Bohlens. Die Jugendlichen »werden wie im römischen Circus Maximus aufeinander losgelassen, um mit den Gewinnern am Ende zusätzliche Einnahmen durch den Verkauf von Tonträgern zu erzielen«, meint der Berliner Anwalt Christian Scherz, der sich in seiner Arbeit mit den Persönlichkeitsrechten Mediengeschädigter befasst: »Das ist die Wertschöpfungskette. Der Erfolg der Kandidaten dagegen ist schnell passé.«
Neben diesen gravierenden gesellschaftlichen Ursachen gibt es aber durchaus auch psychische, individuelle Gründe für übermäßigen Ehrgeiz. Ein in frühkindlicher Zeit verursachter Mangel an Urvertrauen in sich selbst und die Umwelt ist es, so meint der Philosoph Hansjosef Buchkremer, der den Menschen zutiefst abhängig vom Erfolg macht. »Erlebt das
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