Wir Genussarbeiter
eine Gesellschaft, die ihn anerkennt, und, übertragen auf das Kind, gehalten durch die Liebe der Eltern, die ein tiefes Gefühl der Sicherheit vermitteln. Das heißt aber keineswegs, dass der Spielende einfach vor sich hin werkelt, träge und ohne jeden Ehrgeiz, denn immerhin ist er auf die Liebe der Großen angewiesen – ja, als Ermöglichungsgrund des eigenen Spiels bewundert und liebt er sie zutiefst und will sie nicht enttäuschen. Vielmehr möchte er ihnen etwas Schönes zeigen, etwas, das er selbst, mit seinen eigenen Händen, hervorgebracht hat! Wenn der glücklich in seine Arbeit Verliebte also an seinem Gegenstand feilt, ihn schöner und schöner gestaltet, dann tut er das nicht einfach nur für sich selbst. Er tut es für einen geliebten Anderen, der ihm, ob real oder imaginär, über die Schulter schaut und sagt: An dieser Stelle bist du noch nicht genau genug … Dort hast du etwas übersehen … Schau mal, vielleicht könnte man hier noch ein bisschen … Auf diese innere Stimme hört der Spielende. Wieder und wieder setzt er sich an sein Werk, die Hinweise des Anderen aufnehmend.
Dies ist der Punkt, an dem sich der verwirklichende Mensch und der arbeitssüchtige Mensch am nächsten kommen, ja, an dem aus einem eigentlich glücklich Verliebten sogar, wenn es ganz schlimm kommt, ein unglücklich Verliebter werden kann: Je nachdem, wie der imaginäre Andere seine Kritik äußert, was sie beinhaltet und wie sie gehört wird, kann der Verliebte
sie entweder produktiv aufnehmen, oder aber er stockt. Verliert den Faden. Blockiert. Grämt und geißelt sich, weil der Andere ihn nicht anerkennt, ihn nachgerade vernichtet hat durch seine Kritik. Der ehemals glücklich Verliebte fühlt sich zerstört, verlassen, ungeliebt und austauschbar. Unbedingt will er die Liebe zurückgewinnen und quält sich mit der Frage, was ihm, dem Anderen, wohl gefallen würde … Doch ihm will nichts gelingen. Plötzlich hat er keinen Appetit mehr. Schläft nicht. Ist unruhig, hektisch, bisweilen sogar panisch: Wird die Liebe je zurückkommen?
Lassen wir die Frage an dieser Stelle unbeantwortet und verschieben sie ins nächste Kapitel, das, ausgehend von der Erfahrung asketisch-selbstquälerischen Grübelns, nach dem Zusammenhang von Genuss und Denken fragt.
Heideggers Plüsch
Denken und Genuss
Warum sitze ich hier und grüble, während die Welt sich amüsiert? Ich schlafe schlecht, bin selbst nachts mit angestrengtem Nachdenken beschäftigt, werde überaus kritisch mit mir selbst, ja geradezu hart gegen mich, was sich vor allem darin zeigt, dass mich jede Form der Ablenkung oder gar Verlockung allein schon gedanklich stresst. Bloß nicht verführen lassen! Alkohol? Sex? Um Himmels willen den Kopf bewahren! Der Sache mit klarem Verstand begegnen! Also ziehe ich mich zurück. Verschließe die Tür. Und übe mich in Askese. Wie alle Denkerinnen und Denker. Der Philosoph Martin Heidegger zum Beispiel suchte, wenn er in Ruhe philosophieren wollte, seine spartanische Hütte am Feldberg auf, eine Klause ohne fließendes Wasser und einer, wie Heidegger selbst sie nannte, winzigen »Studierzelle«.
Entsagung und Rückzug – beides, so scheint es, ist der Preis, den Denker und Denkerinnen zu zahlen haben. »Wenn du vollkommen sein willst, geh und verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach«, heißt es im Matthäusevangelium. Der heilige Antonius hörte diese Bibelworte eines Tages in der Kirche, woraufhin er sein Hab und Gut verschenkte, sich in die Einsamkeit zurückzog und sein Leben als Eremit und Asket verbrachte. Wegen des bleibenden Schatzes im Himmel.
Ist Denkern und Denkerinnen also ein freudloses Leben auf Erden beschieden? Müssen sie darben und sich quälen, um (hoffentlich!) durch ihr Werk in die Ewigkeit einzugehen? Stimmt es demnach, was man gemeinhin über diese Spezies Mensch denkt? Dass sie hoffnungslos verkopft, unempfänglich für jegliche Form des Genießens, melancholisch und einsam sei?
Liest man einen Brief Martin Heideggers an Hannah Arendt, den er während der Niederschrift von Sein und Zeit abfasste, dann scheint es sich tatsächlich so zu verhalten. Zumindest auf den ersten Blick. »Ich habe dich vergessen«, schrieb Heidegger 1926 an die Philosophin, die seine Geliebte war, »nicht aus Gleichgültigkeit, nicht weil äußere Umstände sich dazwischen drängten, sondern weil ich dich vergessen musste und vergessen werde,
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